Familienleben Kolumne

Aggressionen sind menschlich

Kürzlich habe ich erfahren, dass eine Primarschule im Zürcher Oberland in der Pausenzone einen Boxsack aufgehängt hat, damit die Schüler durch das Eindreschen auf den Sack ihre aufgestauten Aggressionen loswerden können. Der Boxsack werde rege geprügelt, was die Schulleiterin als Erfolg bezeichnet, denn lieber sollen die Schüler auf den Sack hauen als ihre Mitschüler verdreschen.

Begeistert erzählte ich meinen Bürokollegen davon. „Wenn ich ganz ehrlich bin, würde ich mir auch so einen Dampfablasser wünschen“, erzählte ich etwas zu ehrlich und zu naiv in die Runde. „Und wenn ich noch ehrlicher bin, hätte ich am liebsten eine Matratze, in die ich wild drauflos mit einem spitzen Gegenstand reinstechen könnte, wenn sich bei mir wieder einmal alles so staut.“

Ihr hättet die Gesichter meiner Kollegen sehen sollen, Ihr hättet sehen sollen, mit was für Augen mich die Runde angestarrt hat. Als hätte ich soeben eine Greueltat gestanden. Dabei weiss ich von anderen Eltern, dass auch ihr Aggressionspotenzial nach verschiedensten Arten der Linderung sucht: für die eine Mutter mag eine Yoga-Übung oder das Kneten eines Anti-Stressballs das Richtige sein, eine andere aber kann so richtig Lust bekommen zuzubeissen, wiederum eine andere würde am liebsten Küchenkästen oder Türen so fest zuknallen, dass das Haus nur so erzittert, während eine andere die Lust überkommt, Gegenstände zu zerschlagen oder – mangels Boxsack – in ein Kissen zu hauen.

Persönlich fände ich es einen Schritt in die richtige Richtung, wenn wir offen darüber reden könnten, was in einem abgeht, wenn sich langsam alles bis zum Bersten aufstaut. Und zwar sowohl unter Eltern als auch unter Arbeitskollegen oder aber auch in der Schule. Doch offenbar ziemt es sich nicht, schon gar nicht als Eltern, so zu reden und solche Gefühle zuzulassen.

Meinen Kollegen habe ich drum sicherheitshalber vorgelogen: „Ha – erwischt – es war nur ein Witzli!“. Nicht, dass die am Schluss noch denken, dass…

Wie gefällt Euch der Boxsack in der Schule? Was für Dampfablasser habt Ihr, wünscht Ihr Euch?

immer mittwochs im Tagblatt der Stadt Zürich

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7 Kommentare

  • Jannine
    6. März 2013 at 07:07

    Hihihi…ja du siehst halt nicht aus wie eine furie darum sind wohl deine kameraden so erschrocken. Ich hab keinen bestimmten dampfablasser am liebsten tel ich mit jemandem der meine wut gut verstehen kann und lasse da dampf ab oder gehe vor den tv… (schickt mich mein Mann, dann weis ich das ich runterkommen muss)
    Ich denke jeder schiebt zwischendurch frust…
    Meinem Sohn habe ich die Kissen verprügel Methode bei gebracht und meine Tochzer hat gestern in der Schule einen Antistressball gebastelt.

  • Nicole
    6. März 2013 at 09:22

    Ich habe früher oft Türen geknallt und dabei diese sogar ab und an mal aus den Angeln gehoben… und auch heute passiert es ab und zu, dass ich knalle. Am liebsten schreie ich aber ganz laut – und das geht am besten im Auto, weil da dann niemand anderes was hört. Beim Boxen weiss ich einfach, dass man sich vor dem psychischen Auge oft die Person vorstellt. Und dann ist Boxen nicht gut. Das muss man antrainieren, um es richtig zu machen.

  • Nicole
    6. März 2013 at 09:24

    Hihi, und der Boxsack trägt einen ganz ähnlichen Namen wie ein Kollege von mir, auf den ich auch schon sehr hässig war…. 😉

  • Katharina
    6. März 2013 at 10:37

    Boxsäcke sind toll um sich auszutoben und Spass zu haben.
    Sie sind – wie jede andere körperliche Aktivität – auch ganz toll, um sich mal „auszukotzen“ oder Stress und negative Emotionen abzubauen.
    Zur Aggressionsregulation (und die ist ja am Ende das Ziel!) sind sie aber nur bedingt geeignet, weil sie den Prozessablauf „Wut -> Prügeln“ eintrainieren können. Ziel einer Anti-Aggressions-Intervention ist aber, diesen Automatismus von „Wut“ zu „Prügeln“ (oder Treten, Werfen,…) zu unterbrechen. Es gibt da ganz spannende Ansätze, die körperliche Aktivität mit mentalen Techniken kombinieren. Boxsack im Handtäschchen ist halt ein Bisschen unpraktisch und man kann auch nicht aus jeder Geschäftssitzung rauslaufen und boxen gehen, weil einem der Senf in die Nase steigt. Da ist es praktisch, die eine oder andere Regulationstechnik im Repertoire zu haben, um nur auf kleinem Feuer zu köcheln 😉

  • Nicole B.
    6. März 2013 at 11:34

    Was machst du denn jeweils, Katharina?

  • Katharina
    6. März 2013 at 13:45

    @Nicole B.: Ich mache seit einigen Jahren gute Erfahrungen mit Techniken aus dem Umfeld von MBSR (sog. Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion.
    Körperliche Aktivität (ich mach‘ momentan oft Nordic Walking) hilft mir, überschüssiges Adrenalin abzubauen. Oder auch orientalisches Tanzen, um mich wieder zu erden und einzumitten. Un. Gartenarbeit, wenn’s endlich mal Frühling würde.

    Ich kenne jemanden, der bei Charly Bühler im therapeutischen Boxen war und dort geht es um alles andere, als „Aggressionen abreagieren“ – im Gegenteil, offenbar heizt man dadurch die Aggressionen noch an wenn man auf etwas eindrischt. Im therapeutischen Boxen geht es um Kontrolle der Aggression, Kontrolle über den Körper, Kontrolle über den Geist. Wut bzw. Aggressionen haben im Boxen nichts zu suchen, so widersprüchlich das tönen mag.

  • Bionic Hobbit
    9. März 2013 at 22:44

    He, ich war jahrelang im Yoga, bis ich vor kurzem mal aus Versehen in einer FitBoxe oder so Stunde gelandet bin und mir dann aufging, dass das für meine Aggressionen doch wesentlich besser war als das ganze Yoga. Ganz ohne Sack!! Tut überhaupt nicht weh! Ich habe mir dann so eine DVD mit Aerokick besorgt, das geht ganz ähnlich, leider komme ich fast nie dazu, davor zu boxen und kicken. Und vorstellen tu ich mir da gar nichts oder niemanden beim Punchen oder Kicken. Diese ganzen Techniken Fitboxe, Aerokick oder Thai Boxen, Tae Bo und wie die alle heissen, wenn ich das recht verstehe, sind alle nur Luftboxen, und machen trotzdem ganz toll fit.
    Ich schrei auch ab und an mal ganz laut, und schletze Türen, oder schmeiss mal was zum Fenster raus. Und den Trick mit dem im Auto Schreien kenn ich auch, aber den brauche ich in letzter Zeit gar nicht so (laut singen hilft auch). Ist glaube ich gesünder, seine Aggressionen irgendwo abzulassen, so kriegt man kein Magengeschwür (Warnung an deine Kollegen, Rita).

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