
Loslassen, Platz schaffen, weitergehen
Loslassen als Chance? Loslassen ist schwer, aber es birgt gleichzeitig auch neue Perspektiven. Es fordert uns heraus, uns selbst zu hinterfragen, loszulassen, was war, und Platz zu schaffen für das, was kommt. Vier Frauen erzählen ihre persönliche und berührende Geschichte, wie sie lernten, das Loslassen als Chance zu betrachten, um weiter gehen zu können.
Zu früh, zu weit – Der Wegzug des Sohnes

Nicole Mayerhofer (49), Cake-Designerin bei Nicole’s Sweet Bakery, erzählt, wie sie ihren Sohn Noel mit nur 19 Jahren loslassen musste, als er der Liebe wegen in die Niederlande zog.
«Ich wusste immer, dass der Tag kommen würde, an dem meine Kinder erwachsen werden und ihren eigenen Weg gehen. Aber als mein Sohn Noel mit 19 Jahren in die Niederlande zog, kam es mir vor, als wäre es zu früh. Es war schwer, loszulassen, nachdem wir gerade erst eine so intensive Zeit zusammen durchgestanden hatten. Noel hatte in den zwei Jahren davor zwei grosse Rückenoperationen, die ihn monatelang mit Schmerzen zurückliessen. Während dieser Zeit lernte er online Yoanique, ein Mädchen aus den Niederlanden, kennen. Sie brachte Licht in seine dunklen Tage, gab ihm neue Hoffnung. Als ich sie später kennenlernte, verstand ich, warum: Sie war warmherzig, liebevoll und unterstützte ihn bedingungslos. Nach seiner Lehrabschlussprüfung ging alles plötzlich schnell. Aus Ferien wurden erste Pläne, aus den Plänen dann plötzlich Realität. Er bekam einen Job in den Niederlanden, fand mit seiner Freundin eine Wohnung und zog aus, weg von uns. Ich wusste, dass dies der richtige Schritt für ihn war, aber mein Herz tat weh. Es fühlte sich an, als würde ich einen Teil von mir verlieren. Natürlich bin ich stolz auf ihn. Er ist mutig und unabhängig – genau das, was wir uns als Eltern wünschen. Aber es schmerzt, ihn so selten zu sehen, und jeder Abschied fällt mir schwer. Trotzdem habe ich gelernt, dass Loslassen auch bedeutet, Vertrauen zu haben: Vertrauen in ihn, dass er seinen Weg geht, und Vertrauen in mich, dass ich ihn gut auf dieses Leben vorbereitet habe.»
Mut, die perfekte Familie loszulassen

Loslassen heisst oft, sich von einem Traum zu verabschieden. Corina Zimmermann (35), Elternbildnerin, Beraterin und Coach bei Mama kann das erzählt, wie sie diesen Schritt wagte – und dadurch zu sich selbst fand.
«Ende 20 war ich verheiratet und Mutter eines kleinen Sohnes. Insgeheim wusste ich, dass meine Beziehung nicht das war, was ich mir erträumt hatte. Doch ich schaffte es jahrelang, mir einzureden, dass die Liebe zu meinem Mann stärker sei als alles andere. Dass wir etwas Besonderes hätten und wir es allen zeigen würden, wenn wir in 50 Jahren noch glücklich verheiratet wären. Ich hatte mir ein Konstrukt erbaut, unter dessen Last ich zu zerbrechen drohte. Ich gab mich auf, verlor mich in meiner Rolle als Ehefrau und Mutter. Ich tat alles, um die Vorstellung der perfekten Familie aufrechtzuerhalten. Doch je mehr Zeit verging, umso mehr Risse bekam das Bild. Irgendwann wusste ich: Der einzige Weg, um wieder glücklich zu werden, war es, mich von meinem Mann zu trennen. Gleichzeitig fühlte ich mich wie die grösste Versagerin. Ich hatte es nicht geschafft, meine Familie zusammenzuhalten. Ich nahm meinem Kind die Möglichkeit, mit beiden Elternteilen gemeinsam aufzuwachsen. Ich war gescheitert. Trotzdem spürte ich ganz fest, dass es der richtige Weg war. Die Trennung habe ich nie bereut. Auch wenn ich mir für meinen Sohn anfangs etwas anderes gewünscht habe, bin ich heute der festen Überzeugung, dass ich ihm allein eine bessere Mutter bin, als wenn ich unglücklich in der Beziehung geblieben wäre. Durch das Auflösen der Beziehung durfte ich wachsen und bin heute viel stärker und selbstbewusster. Das Loslassen fällt mir heute leichter, weil ich weiss, dass es zwar anfangs wehtut, gleichzeitig aber auch Freiheit und Raum schafft. Das macht mich dankbar und mutig, Neues auszuprobieren.»
Schmerzvoller Verlust des Partners

Muriel Urech Tsamis (45), Unternehmerin, Mentorin und Bloggerin bei Mom of 4, erzählt, wie sie nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes lernen musste, ihre eigene Trauer zuzulassen und gleichzeitig für ihre Kinder stark zu bleiben.
«Das Leben nach dem Verlust meines Mannes war wie ein Puzzle, dessen Teile plötzlich fehlten. In den ersten Monaten war es eine Gratwanderung zwischen meiner eigenen Trauer und der Verantwortung, für meine Kinder stark zu sein. Ich habe gelernt, dass es in Ordnung ist, verletzlich zu sein – auch vor den Kindern. Diese Ehrlichkeit über unsere Gefühle hat uns als Familie näher zusammengebracht. Es war wichtig, ihnen Raum für ihre Trauer zu geben, während ich gleichzeitig meinen eigenen Schmerz verarbeiten musste. Freunde und Familie waren eine unverzichtbare Stütze in dieser Zeit. Sie halfen mir, den Alltag neu zu strukturieren, und zeigten mir, dass ich nicht alles allein schaffen muss. Besonders an Feiertagen oder in stillen Momenten spüre ich die Abwesenheit meines Mannes sehr stark. Doch ich habe gelernt, diese Momente nicht zu fürchten, sondern sie als Gelegenheit zu sehen, mich mit schönen Erinnerungen zu verbinden. Mit der Zeit habe ich Frieden mit der Vergangenheit geschlossen
– nicht, indem ich endgültig losgelassen habe, sondern indem ich akzeptiert habe, dass mein Mann immer ein Teil von mir bleibt. Diese Akzeptanz hat mir Kraft gegeben und mir geholfen, neue Stärken in mir zu entdecken: Geduld, Resilienz und die Fähigkeit, das Leben trotz allem mit Hoffnung zu betrachten. Heute schaue ich nach vorn und habe begonnen, neue Träume für mich und meine Kinder zu entwickeln.»
Liebevoller Abschied vom Seelenhund

Gabriela Fankhauser (45), Pflegefachfrau, erzählt, wie ihre Familie ihren Hund gehen lassen musste – und wie sie dabei erkannte, dass Loslassen auch aus Liebe geschieht.
«Meine drei Kinder (18, 15 und 13 Jahre) und ich wünschten uns lange ein Haustier. Eigentlich wollten wir eine Katze. Doch als wir das Foto von Miro sahen, diesem kleinen braunen Hund, war es Liebe auf den ersten Blick. Miro wurde unser Seelenhund, unser treuer Begleiter in allen Lebenslagen. Neun Jahre waren wir unzertrennlich. Er war der Mittelpunkt unserer Familie, immer da, immer loyal. Plötzlich wurde Miro schwer krank. Die Tierärztin diagnostizierte ein weit fortgeschrittenes Nierenversagen. Eine Behandlung im Tierspital bot nur eine 50-prozentige Erfolgschance, während die Alternative darin bestand, ihn gehen zu lassen. Als Familie standen wir vor einer herzzerreissenden Wahl. Aus Liebe zu Miro entschieden wir uns, ihm weiteres Leiden zu ersparen und ihn in Würde loszulassen. Seine letzten Tage verbrachten wir gemeinsam, sammelten Erinnerungen, machten Fotos, verewigten seine Pfotenabdrücke in Ton und zeigten ihm all unsere Liebe. Am Tag des Abschieds begleiteten ihn meine zwei älteren Kinder und ich zum Tierarzt. Wir hielten ihn, bis sein Herz aufhörte zu schlagen. Der Abschied erfolgte ruhig und friedlich, aber er war unendlich schmerzhaft. Obwohl ich als Mutter stark bleiben wollte, weinte ich – unser Seelenhund war gegangen. Ich nahm die Kinder in den Arm und versuchte sie zu trösten. Zu Hause haben wir ein Bild aufgestellt und eine Kerze angezündet. Noch heute bricht uns der Gedanke daran das Herz, aber wir sind froh, einen so stimmigen Abschied mit Miro erlebt zu haben. Ich habe gelernt, dass Loslassen auch Ausdruck von Liebe sein kann. Es ist schwer, aber es gehört zum Leben dazu.»
Habt ihr schon ähnliche Erfahrungen gemacht?
Dieser Text ist erstmals als Titelgeschichte im Magazin active & live erschienen.
Hat euch dieser Beitrag gefallen? Ihr könnt ihn auf Pinterest pinnen und ihn zu einem späteren Zeitpunkt (wieder) lesen – hier ist euer Pin:

Weitere Beiträge passend zum Thema:
Keine Kommentare