Werbung in Zusammenarbeit mit Kinderkrebs Schweiz
Beeinträchtigte Zukunftsperspektiven nach Kinderkrebs
Die Überlebenschancen von Kindern, die an Krebs erkranken sind in der Schweiz gut. Allerdings kämpft die Mehrheit der «Survivors» mit Spätfolgen, die nicht nur ihre Gesundheit, sondern auch ihre schulischen und beruflichen Perspektiven beeinträchtigen können. Gezielte Unterstützungsmassnahmen fehlen. Im Rahmen der neuen Kampagne von Kinderkrebs Schweiz haben wir mit einem Betroffenen über die Herausforderungen in der Schule und im Beruf sowie über fehlenden Support gesprochen.
Kinderkrebs, Schule und Beruf
Der Schulbesuch, die Berufswahl, die Lehrstellensuche, die Wahl eines Studiums und der Einstieg ins Berufsleben sind für Kinder und Jugendliche wichtige Meilensteine, um am sozialen und wirtschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Für Kinderkrebs-Survivors kann der Schulbesuch oder die Eingliederung in die Arbeitswelt zu einer grossen Herausforderung werden, da sie aufgrund ihrer Spätfolgen oft mit Schwierigkeiten in der Schule oder im Berufsleben konfrontiert werden. Besonders gefährdet sind Kinder und Jugendliche mit einem Hirntumor.
Wir haben mit Oliver, der als Kind im Alter von 6 Jahren die Diagnose Hirntumor erhielt, über die verschiedenen Herausforderungen gesprochen, denen er sich in seinem Leben stellen musste. Nebst dem schwierigen und langwierigen Heilungsprozess während seiner Kinder- und Jugendjahren, der zahlreiche Spätfolgen mit sich führte, war Oliver, der unterdessen 40 Jahre alt ist, auch immer wieder mit Schwierigkeiten in der Schule und in der Berufswelt konfrontiert.
Lieber Oliver, erzähl uns bitte von dir und wie es zu deiner Diagnose kam.
Ich bin mit drei Geschwistern aufgewachsen. Als kleines Kind begann ich, zunehmend unscharf und doppelt zu sehen sowie motorische Störungen zu entwickeln. Unser Hausarzt hat diese Symptome leider nicht sofort ernst genommen. Erst nachdem ich mich im Alter von sechs Jahren wegen eines Unfalls verletzte und in diesem Zusammenhang untersucht wurde, wurde bei mir ein Hirntumor im Endstadium entdeckt. Dieser wurde sofort chirurgisch entfernt und mit anschliessender Chemo- und Bestrahlungstherapien behandelt. Die Prognosen der Ärzte waren nicht vielversprechend. Es hiess, ich werde nie mehr laufen und schreiben können und dass ich für immer geistig beeinträchtigt bleiben würde. Als Folge dieses Eingriffs war ich halbseitig gelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen. Ein Jahr nach der Behandlung hatte ich noch Metastasen in den Beinen, die operativ entfernt und anschliessend erneut mit Chemotherapie und Bestrahlung behandelt werden mussten. In den darauffolgenden fünf Jahren wurde ich alle sechs Monate untersucht, anschliessend weitere fünf Jahre lang nur noch jährlich.
Dann warst du bereits um die 20 Jahre alt – was war dann?
Ich galt in Bezug auf meine Krebserkrankung zwar als geheilt, wies aber einige Spätfolgen auf. So habe ich zum Beispiel ein irreparables schielendes linkes Auge, ein massiv eingeschränktes Hörvermögen, Tinnitus auf beiden Ohren, verschiedene Narben und Gleichgewichtsstörungen. Während meine Geschwister alle 1 Meter 80 und grösser sind, bin ich mit 1 Meter 59 klein und schmächtig geblieben und habe wegen der Bestrahlung auch etwas schütteres Haar. Wegen meiner Beeinträchtigungen und wegen meiner Erscheinung wurde ich auch immer wieder ausgegrenzt – in der Schule und in der Berufswelt.
Kämpfst du auch mit anderen Spätfolgen aus der Krebserkrankung, die man vielleicht nicht auf Anhieb sieht?
Ja. Ich fühle mich immer wieder erschöpft, brauche deutlich mehr Erholung als andere Menschen, da ich mich permanent konzentrieren und anstrengen muss, um Leistungen wie andere zu erbringen. Mir schien schon immer, dass andere schneller sprechen, arbeiten, denken, fühlen und Informationen aufnehmen können als ich. Deshalb stand ich auch immer unter Druck, dass ich nicht genüge. Das Ganze hatte natürlich auch Auswirkungen auf mein Sozialverhalten. Auch heute noch.
Wie war deine Schulzeit? Und wie ist dir der Übergang in die Berufswelt gelungen?
Ich besuchte den Schulunterricht in Kleinklassen, auch in der Oberstufe, und fühlte mich oft ausgeschlossen und alleine gelassen mit meinen Sorgen und Fragen. Nach der Realschule habe ich eine Bürolehre absolviert. Ich hatte das Glück, einen Lehrbetrieb zu finden, der bereit war, einen Lernenden mit Beeinträchtigung auszubilden. Die Lehre habe ich knapp genügend bestanden. Aufgrund meines beeinträchtigten Kurzzeitgedächtnisses hatte ich grosse Mühe beim Lernen. Die Lehrzeit habe ich nicht gut in Erinnerung, es war eine sehr anstrengende Zeit.
Welche Art von Unterstützung hättest du dir bei der Berufswahl gewünscht?
Die Berufswahl wurde durch meine Beeinträchtigungen stark eingeschränkt. Für viele Berufe, respektive Lehrbetriebe stellte ich eine Art Risiko dar. Man traute mir nicht zu, dass ich die geforderte Leistung erbringen kann. Damals hätte ich mir jemanden gewünscht, der mich nicht nur bei der Wahl eines passenden Berufs, sondern mich auch in meiner Persönlichkeitsentwicklung unterstützt hätte. Meine Beeinträchtigungen irritieren, machen Angst. Viele gehen auf Abstand zu mir, anstatt sich mit mir als Mensch auseinanderzusetzen und sich zu fragen, wer ich bin und was ich kann. Ich bin ein Mensch, der viel Lebenserfahrung hat. Ich habe in meinem Leben Vieles lernen müssen, ich habe dabei viele Stärken entwickelt, die mir aber selbst lange nicht bewusst waren. Die hätte ich gerne vorher erkannt, zum Beispiel mit der Unterstützung eines Coaches, und bei der Lehrstellen- sowie Arbeitssuche gezielt auch ins Spiel gebracht.
Hätte auch deine Mutter Unterstützung benötigt?
Meine Mutter unterstützte mich enorm – nach ihrem besten Wissen und Gewissen. Es könnte sein, dass meine Mutter und dementsprechend auch ich besser durch die akute Zeit gekommen wären, wenn sie mehr Unterstützung und Entlastung erfahren hätte. Zum Beispiel in Form von rechtlichen Informationen, Betreuungshilfe durch das Schulsystem oder durch den Austausch mit Personen, denen es gleich gegangen ist. Hier könnten Lehr- oder Ausbildungspersonen, die ohnehin im Elternkontakt stehen, ansetzen oder auch den Sozialen Dienst der Schulen einbinden, um Eltern und Kinder besser zu informieren und stärker zu unterstützen.
Siehst du auch bei den Lehrbetrieben und Arbeitgebern einen Handlungsbedarf?
Auch Lehrbetriebe und Arbeitgeber brauchen Unterstützung. Man muss ihnen die Angst und die Vorurteile nehmen vor der Ausbildung und Anstellung von Menschen mit einer Beeinträchtigung. Es braucht aus meiner Sicht ganz allgemein mehr Aufklärung, welches der Gewinn für eine Unternehmung, für ein Team sein kann, wenn Menschen mit einer Beeinträchtigung ausbildet oder einstellt werden.
Du bist beharrlich deinen Weg gegangen – heute bist du diplomierter Sozialpädagoge!
Nach der Bürolehre habe ich verschiedene Praktika im Pflegebereich gemacht und in verschiedenen Institutionen gearbeitet. Schliesslich habe ich die Pflegeassistent-Ausbildung gemacht und die Berufsmatur abgeschlossen. Ich war aber immer überfordert: Der viele Lernstoff machte mir zu schaffen, auch hatte ich keine Ahnung, wie ich am besten lernen oder mich optimal organisieren soll. Die Arbeit in der Pflege, vor allem der Kontakt mit Menschen, sagte mir aber sehr zu und so habe ich mich entschieden, einen Schritt weiterzugehen und Sozialpädagogik zu studieren. Aber ich war wieder überfordert. Ich hatte einerseits Mühe mit dem Lernen, andererseits wusste ich auch nicht, wie man sich an einer Fachhochschule verhält. Nach einem Jahr musste ich aufgeben, worauf ich in ein Loch gefallen bin.
Und doch hast du einen zweiten Anlauf genommen…
Ja, tatsächlich. Ich nahm einen zweiten Anlauf an einer Höheren Fachschule. Und dieses Mal hatte ich das Glück, an eine Dozentin zu geraten, die sich Zeit für mich genommen hat, sich mit mir auseinandergesetzt hat und mich dazu gebracht hat, mich so anzunehmen, wie ich bin. In der Folge habe ich angefangen, mit einem Persönlichkeitscoach zusammenzuarbeiten und habe gelernt, wie ich mit mir selbst umgehen und wie ich mich persönlich weiterentwickeln kann. Das hat mir sehr viel gebracht und stellte einen Wendepunkt in meinem Leben dar. Von da an lief es gut, ich konnte besser lernen und die Ausbildung schliesslich mit Bravour abschliessen. Heute bin ich diplomierter Sozialpädagoge und arbeite mit erwachsenen Menschen mit Autismus.
Weshalb war diese Form der Unterstützung so hilfreich für dich?
Ich denke, weil mich die Arbeit mit dem Coach befähigt hat, meine Fähigkeiten einzuschätzen, mich in Schule und Berufsalltag besser zurecht zu finden und mich letztlich als selbstwirksam zu erleben. Ich hätte mir gewünscht, viel früher erfahren zu dürfen, welches meine Stärken sind und was mich als Mensch ausmacht.
Vielen Dank, lieber Oliver, für den Einblick, den du uns in dein Leben und deinen Werdegang gewährt hast sowie für deine persönlichen Erfahrungen rund um die Herausforderungen in der Schule und im Berufsleben. Wir wünschen dir weiterhin viel Erfolg und viel Freude bei allem, was du noch anpacken wirst.
Bessere Zukunftsperspektiven für Kinderkrebs-Survivors
Um die Betroffenen bei ihrer beruflichen Orientierung besser zu unterstützen, bräuchte es dringend speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Beratungsangebote. Damit die Integration in die Arbeitswelt auch langfristig gelingt, bedarf es zudem berufsbegleitender Coaching- sowie Rechtsberatungsangebote, wenn aufgrund der Spätfolgen weitere Schwierigkeiten auftauchen und es vielleicht um eine berufliche Neuorientierung geht. Solche spezifischen Unterstützungsangebote würden dazu beitragen, dass Survivors bessere Chancen erhalten, einen für sie passenden Platz in der Arbeitswelt finden und dadurch an Eigenständigkeit sowie Lebensqualität gewinnen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung sind die kostenlosen Rechtssprechstunden von Kinderkrebs Schweiz, die Betroffene bei sozialversicherungsrechtlichen und berufsbezogenen Fragen professionell unterstützen.
Weitere Informationen gibt es auf der Webseite von Kinderkrebs Schweiz
Dieses Interview ist in Zusammenarbeit mit Kinderkrebs Schweiz entstanden.
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