Familienleben Kolumne

Von Notlügen und Ammenmärchen

Es gibt Situationen, in denen ich gezwungen werde zu lügen und auf einst so gehasste Ammenmärchen zurückzugreifen. Wie kürzlich an der Haltestelle. Die Buben sitzen auf der Bank und warten auf den Bus, als sich eine Frau dazusetzt und ihnen zwei Kaugummis hinstreckt. Ich sehe, dass es sich um Zuckerhaltige handelt. Reflexartig hätte ich ihr die Kaugummis mit einem entrüsteten «Gaats no?» aus der Hand gerissen, wenn nicht Sekundenbruchteile vorher mein Anstand mich gestoppt hätte. Ich beobachte, wie die Buben die Kaugummis aus ihrer Hand ziehen und nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Nachdem sie zuerst mir einen fragenden Blick zuwerfen, schauen sie die Frau verunsichert an.

Die peinliche Situation führt nun auch der Frau vor Augen, dass sie mit der gut gemeinten Geste offensichtlich ein Tabuthema angetastet hat. Noch bevor sie sich zur Tat äussern kann, rette ich aus Fremdscham die Situation und lüge: «Sagt der Frau Danke für die Kaugummis! Das ist wirklich lieb, häm . . ., aber ich nehm sie jetzt, und wir essen sie später.» Glücklicherweise kennen meine Buben Kaugummis nur von Liedern und Maulwurffilmen und gehen immer noch davon aus, dass diese nur von Polizisten verwendet werden, um die Pneus ihrer Töffs zu flicken, und dass sie so fest kleben, dass kleine Maulwürfe daran zugrunde gehen können.

So fällt es mir nicht schwer, sie im Bus pathetisch daran zu erinnern und davon abzubringen, die erhaltenen Blättchen überhaupt auszuprobieren. Ich setze noch einen oben drauf und bediene mich eines der dümmsten immer noch kursierenden Ammenmärchen und erkläre besserwisserisch, dass man zudem fürchterlich aufpassen müsse, dass man die Kaugummis nicht verschlucke, da sonst alles im Magen gottserbärmlich verklebe.

Auf meine hinterhältige Frage, ob sie nun doch einen probieren wollten, brechen die Buben fast in Tränen aus und wollen vom Ganzen nichts mehr wissen. Kein Problem – ICH habe ja nicht angefangen mit diesem Thema.

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