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Von Elefantenbeinen, Reiterhosen und tierischen Schmerzen – ein Erfahrungsbericht

Lipödem Elefantenbeine Reiterhose
Lipödem: Wenn man die Strümpfe mit Gummihandschuhen anziehen muss

Lipödem – wenn die Beine immer dicker werden

Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der Venenprobleme verbreitet sind. Was lag also näher als die Annahme, dass meine Schmerzen in den Beinen auf die Venen zurückzuführen sind? Im Prinzip war das auch richtig. Aber nachdem mir zweimal im Abstand von 10 Jahren krankhafte Venen entfernt wurden und die Schmerzen und dicken Beine blieben, sagte mir meine behandelnde Phlebologin: “Der Rest kommt jetzt von Ihrem Lipödem.”

Gegen «Elefantenbeine» hilft keine Diät

Meinem WAS?! Das musste ich erst mal googeln. Kurz gesagt, ist das Lipödem eine Fettverteilungsstörung, die überwiegend in Beinen und/oder Armen auftritt. Betroffen sind Frauen mit genetischer Vorbelastung. Vor allem nach hormonellen Wechseln wie Pubertät, Schwangerschaft oder Geburt. Gegen diese Art von Fett hilft keine Diät. Gemeinsam ist vielen Betroffenen der optische Unterschied zwischen schmalerer Grundform des Körpers und einem breiteren Unterkörper/Armen. Bei adipösen Menschen ist die Diagnose deutlich schwieriger.

Wo finden Lipödem-Betroffene Hilfe?

Viele Ärzte sind kaum oder gar nicht über diese Krankheit informiert. Ein Phlebologe sagte damals zu mir:

“Sie sind einfach fett. Machen Sie mal mehr Sport.”

Gerade deshalb tauchte bei mir immer wieder die Frage auf, ob ich nicht doch selbst an meinem Fett schuld bin, was ich hätte anders machen können, ob ich zu wenig Sport mache, zu viel esse, zu undiszipliniert bin… Man kann sich damit selbst super fertig machen.

Nach einiger weitergehender Recherche im Internet war klar, dass das weder eine Lappalie ist, noch dass es von alleine weggehen würde. Im Gegenteil; das war erst der Anfang. Wenn ich nicht etwas dagegen unternehmen würde, würden Schmerzen und Fett mehr werden. Ich liess mich also zur Angiologie des Unispitals Zürich überweisen und wurde verständnisvoll und sehr gründlich untersucht. Die Diagnose war mir schon längst klar und wurde bestätigt.

Ist das Lipödem heilbar?

Einmal mehr war ich froh, dass ich mich dahinter geklemmt und nicht locker gelassen hatte. Was dann folgte, erforderte zwar Geduld, Mitarbeit und vor allem Zeit, aber letztlich war es in bezug auf die Schmerzen eher Wellness. Ich bekam in einer zweiwöchigen Intensivphase Kompressionstherapie und Lymphdrainage, deren Ziel es war, die Flüssigkeit in den Beinen zu entstauen und das Fett in seine Schranken zu weisen, bzw. zu pressen. Zwei- bis dreimal pro Woche musste ich für eine Stunde zur Physiotherapie im Unispital. (Von denen wusste ich, dass sie optimal mit dem Arzt zusammen arbeiten würden.) Mir wurden die Beine sanft massiert und hinterher mit Kompressionsverbänden umwickelt. Und das im Sommer. Das bedeutete weite Hosen und Birkenstocks plus wiegendem Gang und wenig Bewegungsfreiheit in den Knien. Auf gut Deutsch: Behinderung.

Normalerweise würde man Berufstätige zwei Wochen krank schreiben, sagte die Physiotherapeutin. Pech, wenn man derzeit “nur” Hausfrau ist und das ganze Familienprogramm gnadenlos weiter läuft.

Modische Kompressionssstrümpfe? Aber sicher doch!

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Die Liebe kommt vielleicht erst auf den zweiten Blick. Aber sie kommt!

Kurz vor Ende der Intensivphase konnte ich dann mein Rezept für eine Kompressionsstrumpfhose einlösen. Die Kompressionsstrümpfe gegen Venenleiden sind ja inzwischen optisch kaum von normalen Damenstrümpfen zu unterscheiden, und es gibt sie in vielen schicken Farben. Von der Homepage lipoedemmode.de wusste ich schon in etwa, was auf mich zukommt. Vorallem, dass die Strümpfe für Lipödem deutlich fester und flachgestrickt (im Gegensatz zu den rundgestrickten Venenstrümpfen) sind. Man würde also eine gestrickte Struktur sehen. Und es war Sommer und heiss… Und ob es in der Schweiz tatsächlich genau die gleiche Auswahl an Farben und Mustern geben würde?

Trotz Lipödem selbstbewusst, schön und schmerzfrei?

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Spielen mit den Gestaltungsmöglichkeiten des neuen modischen Accessoires

Gab es. Zum Glück. Die Bandagistin aus dem Balgrist (empfohlen von der Physiotherapeutin) hat sich viel Zeit zum Messen und Erklären genommen. Und da ich mir vorher schon viele Gedanken zur Optik und meinen Kombinationsmöglichkeiten gemacht hatte, war ich auf die Fragen nicht ganz unvorbereitet.

Ich gestalte gerne. Und so habe ich mich ganz darauf konzentriert, was für Gestaltungsmöglichkeiten mir das neue “modische Accessoire” bieten würde. Damit habe ich mich geschickt von dem ganzen medizinischen Kram abgelenkt.

Ich habe versucht, es als Mode zu sehen, die mir dazu noch die Schmerzen nimmt und meine Beine (plus Bauch) in eine vorteilhafte Form bringt.

Und so ist es tatsächlich gekommen. Da die Strumpfhose eher an einen Neoprenanzug erinnert, ziehe ich darüber ungerne etwas an. Plötzlich gab es Kleider, Röcke und Shorts in meinem Schrank, und ich habe zum ersten Mal in meinem Leben angefangen (bestrumpftes) Bein zu zeigen. Seitdem sprechen mich alle möglichen Leute an, ob ich abgenommen hätte und wie toll ich aussähe.

Natürlich ist es ein täglicher Kampf, die Strumpfhose (mit Hilfe von Gummihandschuhen) anzuziehen. Und auch der Gang auf die Toilette ist nicht mehr ganz so kurz wie vorher. (Der eingearbeitete Reissverschluss ist hier Gold wert.) Aber man gewöhnt sich daran. Und das alles ist nichts im Vergleich zu den Schmerzen und schweren Beinen, die ich vorher hatte.

Das Lipödem muss früher erkannt und enttabuisiert werden

Zusammengefasst kann ich sagen, dass es sich in jedem Fall lohnt, sich um sich selbst zu kümmern und Dinge anzugehen, die auf den ersten Blick unlösbar scheinen. Das Lipödem wird oft nicht erkannt. Es ist auch nicht unbedingt heilbar. Aber man kann die Entwicklung und die Schmerzen aufhalten.

Und wenn man weiss, dass nicht die eigene Un-Disziplin an der Körperform schuld ist, kann man sie manchmal auch besser annehmen.

Gibt es unter euch Lipödem-Betroffene? Welche Erfahrungen habt ihr mit dieser Krankheit gemacht? Wir würden uns sehr freuen, wenn wir mit Gunda’s Erfahrungsbericht Aufklärungsarbeit leisten und das Tabu von „selbstverschuldeten Elefantenbeinen“ ein Stück weit bekämpfen können. Wir sind gespannt auf eure Rückmeldungen!

Weitere Informationen findet ihr unter folgenden Links:


Ich bin Gunda, 44 Jahre alt, verheiratet und habe zwei quirlige Söhne (7 und 9). Ich bin gebürtige Berlinerin, wohnhaft in Zürich, Weltenbürgerin ohne Scheuklappen, voller Neugierde, einem Hang zu Chaos und jeder Menge kreativer Energie. Ich bin Chorsängerin (im Gemischter Chor Zürich), lese gerne, interessiere mich für Psychologie, Dinge mit Geschichte (Möbel, Schmuck und Kleidung), Mode, Sprache und Japan, wo ich zwei Jahre gelebt habe. Meine besondere Leidenschaft gilt dem Upcycling von gebrauchter Kleidung, aus der ich in meiner Loni-Kreativwerkstatt typgerechte Unikate fertige.

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