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Lernschwierigkeiten bei Kindern

Lernschwierigkeiten bei Kindern
Bild von Alexa auf Pixabay

Schule und Lernschwierigkeiten bei Kindern

Laut einer Studie der Pro Juventute ist in der Schweiz die Schule eine der Hauptursachen für Stress bei Kindern und Jugendlichen. Viele Eltern erleben dies im eigenen Familienalltag: Sie spüren, dass ihre Kinder in der Schule überfordert sind, entsprechend leidet die Stimmung in der Familie. Wann sollen sich Eltern Sorgen um ihre Kinder machen? Wie erkennen sie, ob ihre Kinder Unterstützung brauchen? Und was können Eltern selbst machen, wenn Lernschwierigkeiten bei Kindern auftreten?


Monika und Thomas Abt sind Eltern von vier Kindern und beschulen diese selbst zuhause. Monika ist Primarlehrerin, beide zusammen sind auch als Lerncoaches tätig. Sie sind spezialisiert auf Rechen-, Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten und unterstützen Familien mit Kindern, die Schwierigkeiten in diesen Bereichen haben. In ihren kostenlosen E-Books erfahren Eltern, wie sie ihr Kind mit Lernschwierigkeiten selbst begleiten und die Lernsituation rasch und spürbar entspannen können.


Liebe Monika, lieber Thomas, es scheint heute mehr Schwierigkeiten in der Schule zu geben als früher. Stimmt dieser Eindruck?

Auf der einen Seite zeigen Studien und Statistiken, dass diagnostizierte Lernschwierigkeiten über die letzten Jahre stabil geblieben sind. Davon betroffen sind jeweils rund 5% der Kinder. Auf der anderen Seite hat sich die Wahrnehmung verändert. Die Lehrpläne sind heute vollbepackter als früher und entsprechend hat sich der Zeitdruck in der Schule erhöht. Auch gibt es mehr Fächer und den Schülerinnen und Schülern stehen viel mehr verschiedene Lehrmittel zur Verfügung. Was für die einen eine willkommen Abwechslung in Sachen lernen darstellt, kann für die anderen verwirrend und überfordernd sein und hindert sie daran, den Fokus auf die ersten kleinen und wichtigen Lerngrundlagen zu legen. Aufgrund des stärken Zeitdrucks und der grösseren Lernfülle sind heute mehr Familien mit Schulstress konfrontiert als früher. Dazu kommt, dass heute die Sensibilisierung für das Thema Lernschwierigkeiten grösser ist und diesbezügliche Probleme rascher angegangen werden.

Was sind eigentlich Lernschwierigkeiten und wie treten sie auf?

Von Lernschwierigkeiten spricht man, wenn das Lernen nicht nach Norm funktioniert. Wir vergleichen es gern mit dem Laufen lernen von Kleinkindern: Auf der einen Seite sagt man, Kinder lernen dies zwischen 8 Monaten und 2 Jahren, was eine grosse Bandbreite darstellt. Und auf der anderen Seite vertrauen Eltern ganz selbstverständlich darauf, dass jedes Kind irgendwann laufen lernt und begleiten dieses, geben ihm die Hand, solange es das benötigt.

In Sachen Schule und Lernen ist die Bandbreite, die man Kindern fürs Erreichen der Lernziele zur Verfügung stellt, allerdings viel kürzer. Braucht ein Kind für die Zielerreichung etwas mehr Zeit, hat es diese leider nicht zur Verfügung. Viele Eltern können zu Hause einiges abfangen und bieten dem Kind zusätzliche Übungsfelder. Doch einige Kinder brauchen nicht nur mehr Zeit, sondern andere Wege, um lernen zu können. Genauso wie Kinder über unterschiedliche Wege – wie zum Beispiel Robben oder Krabbeln – Laufen lernen, brauchen Kinder mit Lernschwierigkeiten alternative Lernmethoden.

Es gibt nicht nur eine einzige richtige Art zu rechnen, sondern verschiedene Methoden. Zwar erhalten Kinder heute in der Schule mehr Möglichkeiten, etwas auszuprobieren, allerdings kann diese Vielfalt gewisse Kinder auch überfordern. Es braucht ein gutes Fingerspitzengefühl, um herauszufinden, welcher Ansatz für welches Kind am geeignetsten ist und wann es bereit ist, Neues aufzunehmen.

Wie unterscheiden sie sich “grundlegende” von “normalen” Lernschwierigkeiten?

Das kann man gut am Beispiel von Mathe-Lernen erklären: Das Mathe-Lernen ist wie eine Mauer aufbauen. Dazu braucht es ein sicheres Fundament und jeder Stein muss genau aufeinander gestellt werden, damit die Mauer stabil ist. Wackeln oder fehlen einzelne Steine, kommt die ganze Mauer ins Wanken oder fällt gar in sich zusammen. Der Fundamentbau beginnt bei den meisten Kindern schon im Kindergartenalter. Doch einige Kinder starten ohne Fundament in die 1. Klasse, weil für sie eine bildliche Vorstellung der Zahlen schwierig ist. Sie versuchen in der 3. Klasse noch, mit den Fingern zu zählen und zu rechnen oder lernen gewisse mathematischen Operationen einfach auswendig, um das Kopfrechnen zu umgehen. Das sind grundlegende Schwierigkeiten.

Normale Lernschwierigkeiten beinhalten Umstellungsschwierigkeiten zum Beispiel vom kleinen in den grossen Zahlenraum, die von betroffenen Kindern durch intensiveres Üben bewältigt werden können, weil das mathematische Fundament grundsätzlich vorhanden ist. In diesem Fall muss man symbolisch gesprochen nur einen Stein justieren und sichern. Bei Kindern mit grundlegenden Lernschwierigkeiten steht die gesamte Mauer auf wackligem Fundament. Deshalb sind die Herangehensweisen für die beiden Arten von Lernschwierigkeiten anders. Bei einem Kind mit grundlegenden Lernschwierigkeiten im 10er-Zahlenraum nützt es nichts, wenn man im 100er-Zahlenraum unendlich viel übt, weil es keine Grundlage besitzt, auf der es aufbauen kann.

Welche Art von Lernschwierigkeiten gibt es?

Es gibt verschiedene diagnostizierte Lernschwierigkeiten wie zum Beispiel die Lese-Rechtschreibe-Schwäche, Legasthenie, Dyslexie oder Dyskalkulie. Um grundlegende Lernschwierigkeiten anzugehen, braucht es aber nicht zwingend eine Diagnose. Eine solche kann auch nur gestellt werden, wenn ein Kind über eine sogenannte „normale Intelligenz“ verfügt, die sich lerntechnisch also in einem „Normalbereich“ bewegt, aber spezifisch in einem Thema wie Mathematik, Lesen oder Schreiben eine Schwäche aufweist. Bewegen sicht das Kind nicht innerhalb der Intelligenznorm, spricht man von einer Lernbehinderung und dann betrifft dies ein anderes Feld. Diese Kinder benötigen eine ganz andere Art von Unterstützung.

Wie können Eltern erkennen, welche Art von Lernschwierigkeit ihr Kind hat und ob es sich vielleicht um eine Lernbehinderung handelt?

Eltern spüren das. Oft beobachten sie, wie ihr Kind zum Beispiel ein Hörspiel perfekt nachsprechen kann oder beim Experimentieren ausserordentlich kreativ ist, aber das Lesen funktioniert einfach nicht. Das ist ein typisches Indiz für grundlegende Lernschwierigkeiten und nicht mehr. In solchen Fällen benötigen die Kinder einfach nur einen anderen Zugang. Diese Kinder sind aus unserer Sicht nicht „krank“, auch wenn sie eine Diagnose haben, die gemäss dem internationalen ICD-10-Katalog als Krankheit gelistet wird. Sie brauchen lediglich eine andere Herangehensweise. Wichtig ist aber, darauf zu achten, dass aus Lernschwierigkeiten bei Kindern keine Ängste entwickelt werden oder das Selbstwertgefühl darunter leidet.

Kann eine Diagnose auch eine Chance darstellen, Gehör in der Schule und bei den Lehrpersonen zu finden?

Dafür gibt es keine allgemeingültige Antwort. Jeder Kanton bietet andere Möglichkeiten, auf Lernschwierigkeiten einzugehen. Auch die einzelnen Schulen haben ihre eigene Kultur, ihre eigene Herangehensweise in dieser Frage. Es gibt Situationen, in denen es durchaus Sinn macht, wenn eine Diagnose gestellt wird. Was sich interessanterweise dabei häufig herausstellt: Betroffene Kinder haben zwar in einem Teilbereich Lernschwierigkeiten und erhalten dafür auch eine Diagnose, gleichzeitig haben sie aber auch Inseln von Hochbegabung. Eine Diagnose kann deshalb sowohl für betroffene Kinder als aber auch für Lehrpersonen eine Erleichterung darstellen und bestätigen, dass zwar in einem Bereich gewisse Schwierigkeiten herrschen, an denen man gemeinsam arbeiten kann, in anderen Bereichen aber alles bestens funktioniert.

Warum gibt es dennoch Kinder, die auch nach mehreren Schuljahren noch immer nicht sicher rechnen, lesen oder schreiben können?

Unsere Erfahrung zeigt, dass man Lernschwierigkeiten erfolgreich angehen und jedes Kind lesen, schreiben und rechnen lernen kann. Wenn ein Kind aber einfach keine Fortschritte macht, dann liegt es an den Umständen. Das Kind erhält nicht den Zugang zum Lernen, den es bräuchte. Es erhält nicht die Möglichkeit, Dinge auf einem Weg zu erlernen, den es „begreifen“ kann. Kinder lernen ganz unterschiedlich. Die Schule funktioniert aber nach einem Standard und zieht 80% der Kinder mit.

Kinder mit speziellen Lernbedürfnissen fallen durch das Raster. Sie benötigen vollkommen andere Wege als die Schule heute anbietet: viel bildlicher und handelnder, langsam und kleinschrittiger, mit enger Begleitung und mehr Wiederholung. Bietet man Kindern mit Lernschwierigkeiten solche Ansätze an, können auch sie lesen, schreiben oder rechnen lernen.

Viele Eltern erleben bei den Hausaufgaben und vor Prüfungen Stress und Tränen. Das bringt sie selbst an ihre Grenzen. Was können sie in solchen Situationen tun?

Wir empfehlen, Warnsignale in Ruhe über einen längeren Zeitraum zu beobachten und nicht sofort in einen Aktivismus zu verfallen. Zu überlegen, ob es sich um grundlegende oder um normale Lernschwierigkeiten handeln könnte und zu schauen, wie es dem Kind auch emotional geht. Tränen, Angstzustände, Bauchschmerzen und sogar Einnässen vor Prüfungen sind zusätzliche Anzeichen für grundlegende Lernschwierigkeiten. Eltern sollten allerdings vorsichtig sein, dass sie über ihren Wunsch, dem Kind zu helfen, nicht zusätzlichen Druck aufbauen. Noch mehr, von dem, was nicht gelingt, bringt noch mehr Überforderung. Wir empfehlen deshalb, mit den Beobachtungen in einem ersten Schritt zur Lehrperson zu gelangen, um mit ihr zusammen die Situation genauer anzuschauen.

Wie können Eltern ihre Kinder bei Lernschwierigkeiten selbst unterstützen?

Unsere Erfahrung zeigt, dass Eltern von zwei Seiten her Unterstützung anbieten können. Einerseits benötigen betroffene Kinder eine Erleichterung, denn was sie täglich erfahren, ist eine ständige Überforderung. Dies zu erreichen, ist sehr gut möglich, wenn Eltern das Gespräch mit der Schule suchen und die Kinder dort Unterstützung erhalten und zum Beispiel Hausaufgaben in etwas kleineren Portionen erledigen müssen. Erleichterungen alleine befähigen das Kind aber nicht, das Lesen, Schreiben oder Rechnen besser zu lernen. Deshalb ist es andererseits wichtig, dass Eltern das Kind zu Hause beim Lernen unterstützen. Da aber die Standard-Didaktik, die in der Schule umgesetzt wird, beim Kind nicht funktioniert, müssen Eltern neue Wege der Vermittlung einsetzen beziehungsweise in den meisten Fällen wohl selber erlernen. Dafür benötigen sie fachliche Unterstützung.

Wir sind der Überzeugung, dass es sich als Eltern lohnt, einen fachlichen Support in Anspruch zu nehmen, denn Lernen ist eine Beziehungssache. Wenn es Eltern gelingt, den passenden Zugang zum Lernen zu finden, ist ihre Begleitung für den Lernerfolg des Kindes ein zentraler Erfolgsfaktor. Da setzen wir an. Wir unterstützen Eltern, fachlich den zum Kind passenden Lernansatz umzusetzen und die Eltern decken ihrerseits die Beziehungsebene ab.

Kurz zusammengefassst: Mit Erleichterungen und Grundlagenarbeit können Eltern zusammen mit der Schule viel dazu beitragen, dass sich der Lernerfolg beim Kind einstellt.

Könnt ihr uns einen Einblick in eure Arbeit geben?

Wir schauen mit den Eltern, wo das Kind steht. Wir zeigen ihnen auf, wie sie in Mini-Schritten und mit Leichtigkeit mit dem Kind gemeinsam voran kommen können. Alles ist bei uns sehr spielerisch aufgebaut. Wir schauen, dass sie die Lernvarianten, die wir ihnen fachlich vermitteln, in die Herzenswelt ihrer Kinder umsetzen können. Was heisst das? Mit den Beispielen in einem Standard-Mathematikbuch kann ein Kind unter Umständen nichts anfangen, weil es dazu keinen Bezug hat und ihm passende Bilder dazu fehlen. Bilder sind aber gerade in der Initialphase des Lernens bei Kindern mit Lernschwierigkeiten sehr wichtig. Deshalb suchen wir mit den Eltern Bildern aus der Herzenswelt der Kinder. Befindet sich das Kind in seiner Herzenswelt, erscheinen ihm die Lernprozesse als nachvollziehbar. Plötzlich erscheint der Zehnerübergang in der Mathematik anhand eines vollen Feuerwehrautos als logisch, was auf der anderen Seite mit Tomaten in einer Kiste am Marktplatz schwer vorstellbar war. In unseren Coachings befähigen wir Eltern, das Fachliche mit der Herzenswelt der Kinder zu verbinden. Anfänglich sind wir sehr eng in Kontakt mit den Eltern und mit der Zeit wird der Prozess zum Selbstläufer und die Eltern können auch nach Abschluss des Coachings das Kind weiterbegleiten.

Was wünscht ihr euch für Kinder ich mit Lernschwierigkeiten?

Wir wünschen uns einen liebevollen, gelassenen Blick auf diese Kinder. Vor allem seitens Eltern. Diese Kinder sind verspielt, kreativ, sie können ganz viel, aber haben in einem Bereich Schwierigkeiten, der in unserer Gesellschaft, in unserem Schulsystem einen hohen Stellenwert hat. Bezogen auf ein ganzes Leben, ist das aber – nüchtern betrachtet – ein kleiner Bereich. Diese Kinder sind völlig in Ordnung und verfügen über viele Stärken. Eltern dürfen darauf vertrauen, dass sie mit dem richtigen Lernansatz „den Knopf lösen“ können!

Liebe Monika, lieber Thomas, danke vielmals für die spannenden Hintergründe zum Thema Lernschwierigkeiten!Wir wünschen euch weiterhin viel Erfolg als Eltern und Lerncoaches und vor allem ganz viel Freude bei all eurem Tun!


Nachfolgend könnt ihr das interessante Gespräch mit Monika und Thomas Abt in einer ausführlicheren Variante auch als Podcast hören!

Die kostenlosen e-Books „Dein Kind hat Mathe-, Lese- oder Rechtschreibschwierigkeiten?“ könnt ihr hier beziehen.

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Laut einer Studie der Pro Juventute ist in der Schweiz die Schule eine der Hauptursachen für Stress bei Kindern und Jugendlichen. Viele Eltern erleben dies im eigenen Familienalltag: Sie spüren, dass ihre Kinder in der Schule überfordert sind, entsprechend leidet die Stimmung in der Familie. Wann sollen sich Eltern Sorgen um ihre Kinder machen? Wie erkennen sie, ob ihre Kinder Unterstützung brauchen? Und was können Eltern selbst machen, wenn Lernschwierigkeiten bei Kindern auftreten?

Und hier findet ihr einen spannenden Gastbeitrag von Monika und Thomas Abt zum Thema Leseschwierigkeiten bei Kindern:

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