Familienleben Gesundheit

Schreibabys: Wenn nach der Geburt der grosse Stress einsetzt

Jedes zehnte Kind gilt als Schreibaby: Das heisst, es schreit mehr als drei Tage in der Woche mindestens drei Stunden pro Tag aus vollem Hals und das über einen Zeitraum von mindestens drei Wochen. Das verursacht bei den Eltern enormen Stress, Gefühle des Ungenügens bis hin zu Aggressionen gegenüber dem Kind. Der Schlafentzug der Eltern macht den Teufelskreis schliesslich noch perfekt, aus dem betroffene Eltern kaum mehr allein herausfinden.

Mit einem Erfahrungsbericht wendet sich eine betroffene Mutter an uns. Um einerseits einfach einmal ganz offen und ehrlich ihre Sorgen abladen zu dürfen und um von Euch, liebe LeserInnen, vielleicht hilfreiche Ratschläge zu erhalten oder einfach mehr über Eure Erfahrungen zu hören. Nicht zuletzt, um das Ganze auch besser einordnen und verarbeiten zu können:

„Unser Baby hat circa 5 Monate täglich bis 4 Stunden am Abend durchgeschrieen. Nun ist er 7 Monate und manchmal noch unruhig. Ich konnte NICHTS machen. Nichts hat ihn beruhigt. Durch den Tag war er auch immer unruhig. Ich war beim Arzt, Apotheke, Osteophatie. Jeder hat etwas anderes behauptet, was mein Sohn hat. Ich bekam 10’000 Tipps von meinem Umfeld. Nichts hat wirklich geholfen, ich habe alles probiert.

Es gibt laut unserem Kinderarzt mehrere Familien pro Mona mit diesem Problem. Und man hört darüber sehr sehr wenig. Habe Puls vom SRF geschrieben, einen Beitrag darüber zu bringen. Diese wollen schon seit langer Zeit einen Beitrag bringen, aber sie finden keine Familie, die offen darüber spricht, da sie Schuldgefühle haben. Und das macht mich am meisten wütend: Das Unverständnis im Umfeld. Wenn ich gefragt wurde wie es geht und ich offen darüber gesprochen habe, bekam ich immer mehr oder weniger zu spüren, dass wir etwas falsch machen. Oder dass ich übertreibe.

Ich möchte, dass man mehr darüber hört. Dass man nicht alleine ist und dass man durch das unaufhörliche Schreien seines eigenen Kindes fast wahnsinnig werden kann. Es würde mir sehr helfen, zu lesen, dass es Mamis gibt, die das auch so erfahren haben wie ich.

Ich schreibe leider nicht so gut, Rita, und es fällt mir schwer, meine Gedanken in Worte zu fassen. Hoffentlich werden Deine LeserInnen trotzdem verstehen, was ich meine und ihre Erfahrungen mit mir teilen.“

Liebe Leserin, vielen lieben Dank, dass Du mir, dass Du uns so viel geschrieben und Dich so geöffnet hast. Danke für dein Vertrauen! Unser Grosser war auch ein Schreibaby, monatelang. Wir brauchten viel Zeit, um damit klar zu kommen. Bei uns war es wohl die traumatische Geburt, gekoppelt mit einem so wachen, präsenten Kind, das nichts verpassen wollte und deshalb wohl auch unter Reizüberflutung litt sowie einer Verspannung (Schiefhals), die unser Bub seit Geburt hatte. Wir hatten keine Ahnung, wir waren unerfahren, naiv, wussten von nichts. Und keiner sagte etwas. Und auch bei uns wollte keiner hören, dass es uns nicht gut ging. Hat man ein Baby, so soll man glücklich sein, es geniessen und nicht die ganze Zeit erzählen, wie streng es ist, wieviel es schreit, wie hilflos und kaputt man sich fühlt.  Nach einem notfallmässigen Besuch im Kinderspital, weil wir nach 6 Wochen Krise – ich war ausserdem von der Geburt her gesundheitlich noch am Boden – nicht mehr ein und aus wussten und einem Beobachtungsaufenthalt in der Säuglingsabteilung, wurden wir irgendwann wieder entlassen mit der Diagnose: Das Kind hat nichts, ausser vielleicht einem Reflux. Alles ging dann weiter wie gehabt. Und irgendwann hat mir damals doch eine der vielen Mütterberaterinnen etwas auf die Spur helfen können: Mit der Hilfe eines Osteopathen, gepaart mit einer Schlafberatung am Kinderspital Zürich haben wir dann irgendwann einmal einen guten Schlaf-Rhythmus gefunden und einen passenden, sorgsamen Umgang, um unseren Bub vor zu vielen Reizen zu schützen. Und so regulierte sich das Ganze irgendwann mit 1 1/2 oder 2 Jahren sehr gut. Ich weiss es nicht einmal mehr so genau, so verschwommen sind unterdessen die Erinnerungen an diesen schweren Anfang mit dem Grossen, der aber danach zu einem der besten Schläfer wurde. Diese Erfahrungen haben uns beim Kleinen sehr geholfen, den wir von Anfang an ganz anders ins Leben, ins Familienleben einbetten konnten.

Mag jemand von Euch seine Erfahrungen mit uns teilen?

Fachleute raten betroffenen Eltern, frühzeitig Hilfe zu suchen und nicht zu warten, bis sie mit den Nerven völlig am Ende sind und die Beziehung zum Kind gefährdet wird. Anlaufstellen sind:

  • Mütterberatung, Frühkinderziehung, Kinderarzt
  • Cranio Sacral Therapie, Osteopathie oder ergo- und physiotherapeutische Massnahmen
  • Spezialisierte Abteilung in den meisten grösseren Kinderspitälern (Kinderspital in Zürich, St. Gallen, Kinderklinik Bern …)
  • Elternnotruf: www.elternnotruf.ch

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9 Kommentare

  • Marlen
    14. März 2014 at 12:06

    Wir hatten kein Schreibaby in diesem Sinne (zumindest sagte man uns das), aber mit ca. 3 Monaten hat unsere Tochter begonnen, jeden Abend (Punkt 18.00 Uhr) zu weinen. Nichts hat geholfen; tragen nicht, wippen nicht, Autofahren nicht; einfach nichts. Unsere Hebamme hat uns dann gesagt, dass sie wahrscheinlich mit den Tageseindrücken überfordet ist und diese nicht verarbeiten kann. Wir haben dann darauf geachtet, dass sie durch den Tag nicht zu viel aufnimmt, sind mit ihr nicht mehr Einkaufen und in die Stadt gegangen. Zudem haben wir ihr Bachblüten-Tropfen gegeben. Zudem sind wir jeden Abend nach dem Essen noch mit dem KiWa oder dem TT raus laufen geganben. Dies hat ihr sehr geholfen.
    Ich finde es traurig, dass es gerade beim ‚Eltern sein‘ so viele Tabu-Themen gibt. Wir sind und gehen auch heute noch sehr offen damit um. Wir lieben unsere Tochter über alles und würden sie für nichts auf der Welt hergeben. Und trotzdem ist es nicht immer einfach; Durchwachte Nächte, nicht gegessene Essen, Wutanfälle, etc. Ein Mami darf nie zugeben, dass sie überfordert ist und nicht mehr mag; ein Papi, dass er gereizt und sauer ist, weil das Kind wieder die halbe Nacht nicht schlafen wollte und er doch am nächsten Tag zur Arbeit muss.
    Etwas mehr Toleranz und Verständnis untereinander wäre wünschenswert.

  • Nicole Bertsch
    14. März 2014 at 13:20

    Unsere Kinder waren zum Glück beide sehr „pflegeleicht“ – aber ich weiss, dass das nicht selbstverständlich ist. Ich biete daher immer mal wieder Mamis aus der Region oder aus dem Freundeskreis an, zum Kind mal eine Weile zu schauen. Ich halte das Schreien gut eine Weile lang aus – und für die Mamis ist es eine Entlastung, mal eine Weile lang ohne Geschrei zu sein….

  • Miriam
    14. März 2014 at 13:37

    Liebe Nicole

    Danke, das ist ein guter Punkt, den du da ansprichst. Was können Aussenstehende tun? Zuhören, Verständnis zeigen, mit Tipps sparsam sein, ein Essen vorbeibringen, sofern es die Eltern wünschen: im Haushalt helfen, oder am besten mal das Baby zu den ‚Spitzenschreizeiten‘ (vor allem abends) abnehmen.
    Und Aussagen wie ‚das Baby schreit jetzt ja gar nicht?!‘ zu unterlassen.

  • Andrea Mordasini, Bern
    14. März 2014 at 23:21

    Unsere Kinder waren auch keine Schreibabies in dem Sinn. Sie litten wie viele andere auch in den ersten drei Lebensmonaten unter Koliken und weinten vor allem abends. Auch wir gehen davon aus, dass sie so die die vielen verschiedenen und neuen Eindrücke verarbeiteten, die auf sie einprasselten. Wir hatten auch grosses Glück was das Ein- und Durschlafen anging, ohne irgendwelche Schlafprogramme oder dergleichen, einfach so ohne Druck und Zwang. Mir käme es auch nie in den Sinn, Eltern mit Schreibabies und/oder nicht durchschlafenden Kleinkindern zu kritisieren und zu verurteilen, wieso auch? Im Gegenteil, ich biete wie Nicole Hilfe an (Hütedienst zB) um die Eltern so etwas entlasten zu können. Wenn Babies/Kleinkinder „pflegeleicht“ sind, wenig schreien und gut ein- und durchschlafen, hat nämlich nichts mit Erziehung zu tun, sondern einfach mit enorm viel Glück – und das wissen wir sehr zu schätzen :)! Wie Marlen schon geschrieben hat, finde ich es auch sehr traurig, wenn sich Eltern aus Angst vor blöden Sprüchen und Vorurteilen nicht getrauen zu sagen, wies steht und geht. Gopf, jede Mutter und jeder Vater hat das Recht A) mal zu jammern und dies B) ohne gleich dafür kritisiert zu werden! Wir Eltern sitzen alle im gleichen Boot. Sorgen wie also dafür, dass dieses nicht untergeht und den Hafen ohne Turbulenzen erreicht ;). Dies geht nur mit mehr Mit- und Füreinander, mehr Leben und leben lassen, gegenseitiger Rücksicht, Respekt, Toleranz, Verständnis, Geduld, Unterstütung und Hilfsbereitschaft :)!

  • Katharina B.
    14. März 2014 at 23:53

    Das einzige, was unseren Buben nach einem traumatischen Start ins Leben noch beruhigen konnte, war ständiger – und ich meine wirklich ständiger – Körperkontakt. Die eingeforderte Nähe hat mich manchmal ganz schön überfordert: Der Kurze wohnte tagsüber bei mir im Tuch, abends hat ihn dann mein Mann „übernommen“ und im Tuch oder in der Tragehilfe getragen, bis er einschlief und man ihn schlafend ablegen konnte. Manchmal wachte er auch wieder auf, dann liess er ihn auf seinem Bauch einschlafen.
    Ich würde Eltern in dieser Situation empfehlen, eine Trageberatung zu konsultieren und das ergonomisch korrekte Tragen in verschiedenen Positionen und Tragehilfen zu erlernen. Nicht weil das Tragen immer und in jeder Situation hilft – das tut es leider nicht – aber weil man auf diese Weise dem Kind vermitteln kann, dass es nicht alleine ist, aber trotzdem selber etwas für sich machen kann, oder sich um ein älteres Geschwister kümmern etc., weil man die Hände frei hat.
    Man löst das Problem nicht, aber man erleichtert sich das „Aushalten“, bis es vorbei geht. Und es geht vorbei!

  • Lorelai
    15. März 2014 at 13:09

    Ich rate allen mal, sich den Artikel hier zu Gemüte zu führen, ein kleiner Augenöffner wie ich finde: http://m.welt.de/article.do?id=wissenschaft%2Farticle855081%2FSchreibabys-sind-typisch-deutsch
    Abgesehen davon waren auch meine Kinder keine Schreibabys, forderten aber ebenso viel Körperkontakt ein und litten unter den vermeintlichen „Koliken“; von denen ich leider erst heute weiss, dass es sich dabei ganz oft einfach nur um das Äussern eines weiteren Bedürfnisses handelt, nämlich, sich mit Unterstützung entleeren zu können (Stichwort windelfrei)… Tragen half bei meinen Kindern sehr viel, sich zu beruhigen wenn sie abends überfordert waren oder auch wenn sie tagsüber meine Nähe brauchten um einzuschlafen oder auch einfach nur so…

  • Rahel
    20. März 2014 at 21:14

    Hoi zämme

    Ich habe über unsere Erfahrungen geschrieben: http://sunnechind.blogspot.ch/2014/03/schreibaby.html. Heute hatten wir den ersten CST Termin, bin gespannt, wie sich dies auswirken wird.

    Liebe Grüsse,
    Rahel

  • Rita Angelone
    21. März 2014 at 07:50

    @Rahel: Danke für deinen Erfahrungsbericht… Machts gut und alles Liebe Euch!

  • Fränzi
    26. Februar 2016 at 13:21

    Liebe Mamis mit und ohne Schreibabys..

    bei uns war das dritte Kind ein Schreibaby. Die ersten drei Monate jeden abend zwischen vier bis sechs Stunden. Nonstop. Untröstlich. Nervtötend. Es gab Zeiten, in denen ich vor Erschöpfung fast depressiv wurde und bei mir dachte: Jetzt soll mir noch einer kommen und sagen WAS denn genau so schön und erfüllend am Kinder-haben sein kann…
    Ich glaube, mein Glück war, dass ich durch die zwei älteren Geschwister (die waren absolute Anfängerbabys) schon einwenig gelassener mit der Situation umgehen konnte und irgendwann gelernt habe, das Geschrei zu ertragen. Irgendwann war es vorbei.
    Generell finde ich, macht die sogenannte Müttermafia vielen von uns das Leben schwer.
    Wenn man mit Augenringen wie ein Panda am Morgen den Kleinen in die Spielgruppe bringt und zugleich von den Supermamis zugetextet wird, was sie alles wie gelöst haben und welche ultimativen Tipps es für jedes erdenkliche Kinderproblem gibt, dann fiel es mir zum Teil schon schwer, die Contenance zu wahren…
    Ich durfte aber auch die Erfahrung machen, dass es viele wunderbare Mamis gibt, die total unkompliziert Hilfe anbieten, die aber auch nicht betüpft sind, wenn diese Hilfe nicht umgehend in Anspruch genommen wird. Die da sind wenn Bedarf ist, sich aber nicht aufdrängen.
    Und schlussendlich ist es doch so, dass jedes Kind ein Individuum ist, für das es keine Gebrauchsanweisung mitgeliefert gibt. Die einen lassen sich einfacher hegen und pflegen und die anderen sind anspruchsvoller. Und an all diejenigen Mamis die eine solch strenge Anfangsphase überstehen: IHR SEID DIE WAHREN HELDEN AUF UNSERER KUGEL!Seid stolz auf diesen Marathon, den ihr tagtäglich abspult. Aber: TRAGT EUCH SORGE. Nehmt Hilfe an und verschafft euch kleine Pausen.
    Alles Liebe euch allen da draussen!
    Herzgruss, Fränzi

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