Als ich kürzlich gegenüber Zwillingen sass und deren Mutter beim abwechslungsweisen Füttern beobachtete, schossen mir einige Fragen durch den Kopf: „Müssen Zwillinge gleich gekleidet sein? Haben sie beider zur selben Zeit Hunger? Mögen sie denselben Brei? Essen sie gleich viel? Entwickeln sie sich folglich gleich weiter? Darf man Zwillinge überhaupt trennen?“
Zwillinge waren immer schon Gegenstand von Mythen und Vorurteilen. Insbesondere Eineiige wirken rätselhaft und faszinieren immer wieder aufs Neue.
Doch, welches sind die Ammenmärchen, die sich zum Teil seit Menschengedenken hartnäckig halten? Und wieviel Wahrheit steckt in ihnen?
Ihre Geburt
- Zwillinge müssen per Kaiserschnitt geboren werden.
Eine Frau ist grundsätzlich fähig, Zwillinge natürlich zu gebären und längst nicht alle Zwillinge kommen per Kaiserschnitt zur Welt. Spricht man über drei oder mehr Kinder, besteht in der Tat ein erhöhtes Risiko und in solchen Fällen wählt man den Kaiserschnitt. - Zwillinge kommen immer zu früh auf die Welt.
Die Wahrscheinlichkeit von Frühgeburten in einer Zwillings-Schwangerschaft ist etwas höher. Gemäss Hebammen erfolgt die Geburt von Zwillingen im Schnitt allerdings in der 37. Woche. Viele Zwillinge kommen auch in der 40 Woche auf die Welt.
Ihr Aussehen
- Eineiige Zwillinge kann man nicht unterscheiden.
Kennt man eineiige Zwillinge gut, sieht man auch die feinen Unterschiede: so können sie verschiedene Stimmen oder Gesichtsausdrücke haben. Die Fingerabdrücke sind immer unterschiedlich!
Ihr Verhalten und ihr Wesen
- Zwillinge sehen nicht nur gleich aus, sondern verhalten sich auch gleich.
Zwillinge tendieren dazu, ihr Verhalten als Reaktion auf den anderen zu intensivieren und auszuweiten. Dieses Phänomen ist als Twin Escalation Syndrom bekannt: Zwilling A weint, Zwilling B weint lauter. Im Gegenzug weint Zwilling A gar noch lauter und so weiter und so fort. - Einer ist gut, einer ist böse.
Das Wesen von Zwillingen unterscheidet sich nicht mehr als dasjenige von gewöhnlichen Geschwistern. Aber da Zwillinge oft beweisen wollen, dass sie sich unterscheiden, neigen sie dazu, ihre Individualität und ihre Unterschiede stärker zum Ausdruck zu bringen. - Der Erstgeborene ist ein Führer, der Zweitgeborene ist ein Mitläufer.
Die Geburtenfolge hat keinen Einfluss auf Zwillinge. Aber wird Zwillingen ständig gesagt, dass einer von ihnen älter ist, beginnen sie oft, sich entsprechend zu verhalten. - Zwillinge sind die besten Freunde.
Obwohl das Band zwischen Zwillingen einzigartig ist, geniessen Zwillinge auch die Freundschaft mit anderen Kindern und sind nicht in jedem Fall automatisch die besten Freunde. - Zwillinge sind ständig im Konkurrenzkampf.
Auch Zwillinge sind dem Phänomen der Geschwisterrivalität unterworfen. Nicht mehr und nicht weniger als gewöhnliche Geschwister.
Ihre Erziehung und ihr Leben
- Es ist doppelt so anstrengend, Zwillinge gross zu ziehen.
Wie die Liebe kann auch die Arbeit der Eltern nicht quantitativ gemessen werden. Die Arbeit kann auch als einfacher betrachtet werden, als gewöhnliche Geschwister gross zu ziehen, weil Zwillinge sich gegenseitig als Spielkamerad haben und Eltern nicht ständig Unterhalter sein müssen. Und der doppelten Arbeit kann schliesslich die doppelte Freude angerechnet werden! - Eineiige Zwillinge sind weniger intelligent, da sie sich ein Gehirn geteilt haben.
Im Kleinkindalter erscheint ihre Sprache im Vergleich mit gleichaltrigen Kindern oft etwa ein halbes Jahr unterentwickelt. Diese leichte Verzögerung, die jedoch im Laufe der Entwicklung ausgeglichen wird, lässt sich auf verschiedene Besonderheiten im Aufwachsen von Zwillingen zurückführen und hat nichts mit verminderter Intelligenz zu tun. - Zwillinge sollten nicht gemeinsam zur Schule.
Es gibt keine Beweise dafür, dass es vorteilhaft ist für Zwillinge, in getrennten Klassen platziert zu werden. Jedes Zwillingspaar ist anders und viele verschiedene Faktoren – wie z.B. die Dynamik ihrer Beziehung oder ihr individuelles Lernverhalten – spielen für den Entscheid eine Rolle. - Eineiige Zwillinge leiden unter den gleichen Krankheiten.
In vieler Hinsicht ist dies der Fall, da eineiige Zwillinge einen ähnlichen Genotyp haben. Aber ihre Gesundheit hängt auch von Lifestyle-, Umwelt-und anderen Faktoren ab. - Zwillinge „fühlen“ sich gegenseitig auf Distanz.
Da Zwillinge viel Zeit miteinander verbringen, haben sie eine tiefere Empfindlichkeit, wie es aber auch Eltern und Kinder, Eheleute oder auch gewöhnliche Geschwister haben können. Weil Zwillinge oft ähnlich denken und handeln, können sie die Gedanken des anderen „lesen“ oder Entscheidungen „vorhersehen.
Quellen: Bundesamt für Statistik, Myths about Multiples
Welche Erfahrungen habt Ihr mit Zwillingen gemacht? Was ist wahr an diesen Mythen?
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4 Kommentare
Bionic Hobbit
31. Januar 2012 at 08:32Hallo Rita,
ich kann und will nicht auf jedes Mythos eingehen (habe ja definitiv zweieiige Jungs), aber eines muss man einfach immer wieder betonen: Zwillinge kommen sehr oft zu früh auf die Welt. Ungefähr die Hälfte der Zwillinge werden vor der 37. Woche geboren. Sie sind generell reifer als gleichaltrige Einlinge, und sie erholen sich auf der Neonatologie generell auch schneller als Einlinge. Aber die Hälfte ist viel. Diese Zahl hat sich in den letzten 10 Jahren trotz verschiedener Ansätze (Prophylaktisches Liegen, Cerclage etc) nicht verändert, also müssen Zwillingsschwangere einfach darauf vorbereitet sein, dass es sie treffen könnte. Und sie sollten dann vor allem am richtigen Ort sein wenn’s los geht. Auch ungefähr die Hälfte aller Zwillinge verbringt ein bisschen Zeit auf der Neonatologie. Als werdende Eltern hat man Tendenz, das zu verdrängen, man will sich ja nicht noch mehr Sorgen machen als nötig. Den allermeisten Zwillingen geht es aber nach der Neonatologie recht gut.
Man lässt heute kaum eine Zwillingsschwangerschaft über 38 Wochen dauern. Retrospektive Statistiken zeigen, dass Zwillis, die um die 38. Woche geboren wurden, am wenigsten Probleme haben, d.h. man vermutet, die Probleme steigen wieder an, wenn man länger wartet (genau bewiesen ist das aber nicht). Ich muss sagen, ich war froh, zur 38. Woche den „Gnadenschnitt“ zu kriegen, denn der Bauch war schon echt riesig (2960 und 3130g)…
Rita Angelone
31. Januar 2012 at 09:29@Bionic: Vielen Dank für deinen Input! Es ist spannend, so viel Neues zu erfahren!
Bionic Hobbit
1. März 2012 at 20:25Hallöchen Rita, darf ich hier rasch einen Artikel aus der Schweizer Familie „pimpen“? Will allerdings nicht meinen Nom-de-clavier preisgeben, also sag ich nicht, welcher „Experte“ ich in dem Artikel bin… 🙂
http://www.schweizerfamilie.ch/kinder/schwangerschaft/zwillinge-werdende-eltern-wissen-sollten-104052
Rita Angelone
1. März 2012 at 20:43@Bionic: Ich habe den Artikel schon gesehen und natürlich den Experten gleich erkannt. Aber selbstverständlich wollte ich auch nichts verraten! 🙂
Interessanter Artikel und interessante Hintergrundinformationen zum Experten!