Reportagen und Interviews

Laufschuhe und High-Heels – vom Spitzensport auf den Catwalk

Marc-Oliver Stöcklin für eine Kampagne des ukrainischen Designer Viktor Anasimov (Bild: Miriam Bennouna)

«Fashion is Passion» lautet Marc-Oliver Stöcklins Devise. Als Model, das in keine Schublade passt, verkörpert er Authentizität und Toleranz und bricht Grenzen auf.


Die Modelbranche ist keine einfache. Nur wenige Models schaffen es an die Spitze.

In dieser Welt hat niemand auf dich gewartet. Es ist schwierig, sich durchzusetzen.

Marc-Oliver Stöcklin

Schwierig, aber nicht unmöglich. Marc-Oliver (56) ist seit bald 39 Jahren als Model im Geschäft und läuft auf den bekannten Fashion Shows in New York, Mailand, London oder Paris für verschiedene Designerinnen und Designer über den Catwalk, wie der Laufsteg im Mode-Jargon genannt wird. Als Schlüssel zu seinem Erfolg nennt er seine Beharrlichkeit, Geduld, Professionalität und seine Authentizität. «Ich wusste schon immer, was ich wollte. Und wenn ich etwas anpacke, dann mache ich es richtig und ziehe es durch. Dabei verbiege ich mich nicht und bleibe mir stets treu», stellt er selbstbewusst klar.

Vielseitig begabter Multikulti

Marc-Oliver hat einen multikulturellen Hintergrund. Er ist zu je einem Viertel Schweizer, Engländer, Deutsch und Jüdisch-Israelisch. Im deutschen Heidelberg geboren zieht er als Kind mit seinen Eltern in die Schweiz um, wo er seither immer im Grossraum Zürich wohnt. Bereits als 5-jähriger macht er bei einem Spielfilm mit und sammelt erstmals Casting-Erfahrungen. Als Model ist er aber erst später als Teenager auf dem Runway – ein weiterer Begriff für Laufsteg. «Damals lief ich für die Kaufhaus-Gruppe Regina, die später von Jelmoli übernommen wurde und absolvierte gleichzeitig die kaufmännische Lehre in der Finanzdienstleistungsbranche. Die Lehrzeit war für mich auf der einen Seite eine gute Erfahrung, aber gleichzeitig auch der Horror. Ich war bei meinem ersten Zeugnis sehr stolz auf meine 5 im Schnitt. Doch mein Lehrmeister prophezeite mir, dass ich bis zur Abschlussprüfung erfahrungsgemäss mindestens eine Note verlieren würde. Das demotivierte mich so sehr, dass ich gar nichts mehr machte und erst einen Monat vor Lehrabschluss mit dem Lernen anfing. Die Prüfung habe ich allen Unkenrufen zum Trotz mit einer 4.8 absolviert.» Die KV-Ausbildung ist Marc-Oliver ohnehin etwas egal. Denn nebst dem Modeln betreibt er als Teeanager auch Spitzensport als Läufer – Cross Country bis Halbmarathon – und erreicht die U20-Halbmarathon Europameisterschaftslimite. An diesem Wettkampf nimmt er allerdings nicht teil, wird aber dreifacher Junioren-Schweizermeister in Cross Country.

Vollgas unterwegs

«Dann ging ich ins Militär. Eine Woche vor dem Einrücken in die Rekrutenschule unternahm ich mit meinem Vater eine Bergtour. Er fragte mich, ob ich gedenke, in der Armee weiterzumachen. Ich antwortete ihm, dass es von mir aus nicht unbedingt sein müsse», mag sich Marc-Oliver erinnern und schmunzelt vielsagend.

Es kommt anders. Als Spitzensportler, Bergsteiger und Jugend und Sport-Leiter ist es nur logisch, dass der junge Haudegen fürs Weitermachen vorgeschlagen wird. «Ich bin als Vermesser in die Unteroffiziersschule eingeteilt worden. Ich war allerdings kein Wunschkandidat, denn ich hatte keine Matur. Doch mangels geeigneteren Kandidaten, rekrutierte man mich trotzdem. Mit den physikalischen Berechnungen von Flugbahnen auf Maturitätsstufe hatte ich mit meinem kaufmännischen Background allerdings grosse Mühe. Ich verstand nur Bahnhof und raubte mit meinem Ungeschick allen den letzten Nerv», erinnert sich Marc-Oliver und lacht von ganzem Herzen.

Und trotzdem wird er für die Offiziersschule vorgeschlagen. Bald einmal droht der Schulkommandant dem jungen Aspiranten mit dem Rausschmiss, seine physikalischen Grundkenntnisse sind einfach zu ungenügend – es sei denn, er gewinne ein Wettrennen gegen eine Gruppe von Grenadieren, der Elite der Schweizer Armee. Der tollkühne Deal, der nach einem Teufelspakt tönt, geht für Marc-Oliver auf: Beim anspruchsvollen Lauf vom Genfersee durch das ganze Gebiet des Chablais bis Saint Maurice und von hier aus 700 Höhenmeter weiter, lässt der Spitzenläufer seine Konkurrenz alt aussehen und läuft als Erster durchs Ziel. «Ich habe nicht nur die Unteroffizier- sondern auch die Offizierschule absolviert und bin – anders als ursprünglich je gedacht – erst grad vor sechs Jahren schliesslich im Range eines Majors aus der Schweizer Armee ausgeschieden. Bis heute habe ich mit dem Schulkommandanten, der selbst Chef Armee geworden ist, Kontakt.»

Wandelbares Vorbild

Wer Marc-Oliver nur vom Beruf, Sport oder von der Armee her kennt, kann sich kaum vorstellen, wie wandelbar er als Model ist. Gerade als sogenannter «Cross-Dresser» offenbart er eine Seite von sich, die in keine Schublade passt. «Ich bin schon ein ziemlicher Paradiesvogel und kombiniere alle Arten von Kleidungsstücken – egal, ob sie für Männer oder für Frauen gedacht sind. Ich trage im Bereich von High-Fashion zum Teil extreme Outfits, die nicht für alle verständlich sind, laufe in High Heels über den Laufsteg und gelte – je nach Sichtweise – als schräger oder bunter Vogel.

Dabei geht es mir nicht um Selbstdarstellung, auch habe ich keine Profilierungsneurose. Ich lebe einfach die Mode in ihrer gesamten Vielfalt.

Für Marc-Oliver ist Mode nicht nur Leidenschaft, sondern auch ein Lebensgefühl, das Freude und Toleranz symbolisiert und verbindend wirkt. Ist er als Model im Einsatz, möchte er Grenzen aufbrechen, nicht zuletzt Altersgrenzen und alle sogenannten «Silver Ager» wie er inspirieren, ihren ganz persönlichen Modestil auszuleben und dazu ermutigen, das eigene Grau mit Stolz und Freude zu tragen. «Fashion is Passion ist meine Devise – ich will Freude transportieren, zum Nachdenken anregen, Mut machen und inspirieren», sagt er.

Arbeit und Familie

Seine Familie steht hinter seiner Modeltätigkeit. Die Eltern waren anfänglich zwar nicht ganz so glücklich über die berufliche Entwicklung ihres Sohnes. Unterdessen schätzen sie seine kreative Arbeit in der Modewelt und sind stolz auf seine Karriere. «Die Beziehung zu meinen Eltern ist mir sehr wichtig. Ich habe wöchentlich Kontakt mit ihnen – sei es auch nur über eine Sprachmitteilung. Wenn ich zu den grossen Fashion-Shows aufbreche, wollen sie immer wissen, wann ich abfliege, wann ich lande, was ich vor Ort gerade mache. Und jeden Tag gibt es ein up date von mir an sie. Am meisten Freude und Stolz bereitet es ihnen, wenn sie von Verwandten, Freunden oder Bekannten erfahren, dass sie mich in einem Magazin, auf einem Plakat oder im Fernsehen gesehen haben.» Auch die Kinder, zu denen Marc-Oliver eine gute Beziehung hat, stehen hinter seiner Arbeit, obschon der Sohn mit High-Heels für Männer nicht wirklich viel anfangen kann und die Tochter mit der Attraktivität ihres Vaters etwas Mühe bekundet, weil immer wieder Freundinnen in Erfahrung bringen wollen, ob er noch zu haben sei…

Marc-Oliver ist seit über 20 Jahren geschieden. Seine heute 26- und 28-jährigen Kinder standen im Teenageralter plötzlich mit Sack und Pack vor seiner Haustüre und wollten bei ihm wohnen. «Plötzlich war ich alleinerziehender Vater von zwei Teenies und musste beruflich etwas zurücktreten. Ich war fortan in Jobs tätig, die es mir ermöglichten, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen.»

Nebst dem Modeln ist der Fachhochschulabsolvent immer auch «ganz normal» erwerbstätig – lange in der Finanzbranche sowie auch als Selbständigerwerbender und als stiller Teilhaber einer Firma. Im Moment ist er allerdings auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. «Mir schwebt ein Teilzeitjob mit einer Ganzjahreszeit vor, damit ich genügend Freiraum für das Modeln habe. Da ich jeweils im Frühling und Herbst mit den Fashion-Weeks in New York, London, Mailand und Paris absorbiert bin, ist es für mich nicht einfach, daneben einen konventionellen Job auszuüben. Das Modeln möchte ich keinesfalls aufgeben, was ich aber suche, ist ein Ausgleich dazu und nicht zuletzt ein zusätzliches Quentchen finanzieller Sicherheit.»

Im Model-Business ist es so eine Sache mit dem Verdienst. Nur gerade die absoluten internationalen Top-Models können wirklich gut davon leben. Zudem ist es in dieser Branche anders als in der restlichen Berufswelt. Hier sind es die Männer, die für denselben Job weniger verdienen als die Frauen. Gehört man nicht zu den amerikanischen Top-Models und ist wie Marc-Oliver altersmässig als sogenanntes «Best Ager Model» unterwegs, ist es auf dem europäischen Markt als Mann nicht ganz einfach, ausschliesslich von diesem Job zu leben.

Der Tausendsassa muss sich aber keine ernsten Sorgen machen. Er ist nicht nur Model, sondern auch als Coach, Casting Director, Backstage Manager oder Executive Coordinator unterwegs und verfügt weltweit über ein riesiges Netzwerk. Daneben moderiert er regelmässig den Sonntalk der Kulturchallenge Deutschland, die während der Pandemie ins Leben gerufen wurde, um den Zusammenhalt von Künstlern aller Art zu fördern. «Diese Tätigkeit ist sehr spannend, weil ich zahlreiche interessante Menschen kennenlernen darf, die mir wiederum den Zugang zu verschiedenen Anlässen ermöglichen. Wenn ich möchte und auch die Zeit dafür hätte, könnte ich mehrmals im Monat nach Deutschland an ein Konzert, eine Ausstellung oder ins Theater gehen.»

Heimatliebender Globetrotter ohne Allüren

Jedes Mal, wenn eine grosse Show irgendwo auf der Welt ansteht, ist Weltenbummler Marc-Oliver happy, dass er verreisen kann. Doch genauso happy ist er, wenn er nach getaner Arbeit wieder im Flieger sitzt und nach Hause zurückkehren kann. «Ich fühle mich wohl hier und weiss, was ich an der Schweiz habe. Ich kann ohne Bedenken aus jedem Brunnen Wasser trinken, sorglos spazieren gehen, wann und wohin ich will oder jederzeit das Fenster aufmachen und Vögel zwitschern hören. Nach meinen Einsätzen im Ausland, geniesse ich meine eigenen vier Wände sehr und ziehe mich gerne etwas zurück.»

Bodenständig und frei von Allüren sind auch Marc-Olivers Wünsche für die Zukunft: «Ich hoffe, dass meine Eltern noch möglichst lange zusammen bleiben können und meine beiden Kinder ihren Weg weiterhin erfolgreich gehen. Selbst möchte ich gesund bleiben, ein sicheres zu Hause haben und die Fähigkeit behalten, das grosse Glück in den kleinen Dingen zu erkennen.»

Dieser Text ist erstmals als Herzgeschichte im Magazin active & live erschienen.

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