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Kultur-Spagat: Zwischen unmanierlich und zivilisiert

Italien – Schweiz: Zwischen zwei Kulturen

Wer in zwei Kulturen zuhause ist, macht oft den Spagat. Im Kopf, natürlich. Erst kürzlich befand ich mich mal wieder in so einer Position, und zwar vor dem Fernseher. Ich bin sehr wählerisch, was die Mattscheibe anbelangt, und schaue am liebsten irgendwelche Dokumentarsendungen, bevorzugt auf den Schweizer Kanälen (pssst…). Doch diesmal lief eine Sendung zum neuen italienischen Scheidungsrecht und – vor allem – zum Phänomen „Culle Vuote“, was soviel wie leere Babywiegen bedeutet.

Unterschiedliche Gesprächskulturen

Tja, das Land der vielen bambini ist zu einem Land mit leeren Babywiegen geworden. Die Italiener haben keinen Bock mehr, Kinder in die Welt zu setzen, denn der Staat macht es ihnen nicht einfach. Man muss Doppelverdiener sein, und Fremdbetreuung kostet. Und die Nonni sind auch nicht immer verfügbar.

Unmanierlich versus zivilisiert

Darum ging es also in dieser Sendung, doch ich „switchte“ zwischen italienischem und schweizerischem Programm hin und her. Und machte eben genau diesen Spagat. Was mir dabei auffiel, und mich ziemlich in Rage brachte, war die Art, wie sich die Referenten einander gegenüber verhielten. Da wird man laut, lässt den anderen nicht ausreden und macht sich schon fast über ihn lustig, sollte man nicht gleicher Meinung sein. So geht es im Übrigen auch im Parlament zu und her, wo es schon mal ausartet und zu Handgreiflichkeiten kommt. Wie im Alten Rom! Kunststück, benehmen sich die Italiener im alltäglichen Umgang mit ihren Mitmenschen so, das Beispiel kommt von oben, und aus den Medien! Im Gegensatz dazu verfolgte ich die Schweizer Sendereihe zu Übersinnlichem, wo sich ein Parapsychologe und ein Wissenschaftler gegenüber sassen und beide, ohne sich anzugreifen, ihre Meinung kundtun durften. So richtig zivilisiert.

Schlechtes Beispiel von oben

Ist es denn möglich, dass man sich in einem Land, das so viel Kultur und Geschichte vorzuzeigen hat und so tolle Persönlichkeiten hervorbringt, die mit ihren Erkenntnissen international die Welt bewegen, so benimmt? Ich war richtig sauer. Ich finde die Italiener nach wie vor ein dynamisches, anpassungsfähiges und fröhliches Volk, aber das, was da „oben“ passiert, ist wirklich beschämend. Hoffen wir, dass das Gute, das der Stiefel an Innovationen und guten Ideen hervorbringt, stärker ins allgemeine Gewicht fällt als so arrogante, eingebildete Gesprächspartner an medialen Podiumsdiskussionen!

Themenwechsel statt Diskussion

Was mich ebenfalls nervte: Da ging es doch um die zunehmende Kinderlosigkeit in Italien, es wurden viele Beiträge gezeigt und Leute interviewt, doch diese gar nicht richtig aussprechen gelassen. Und plötzlich wurde ausgeschwenkt und fortan übers Thema „Jugend und Drogen“ gesprochen. Klar, ebenfalls ein wichtiges Thema, aber was hat das mit leeren Babywiegen zu tun? Wäre es nicht besser gewesen, bei diesem – meiner Meinung nach grundlegenden – Thema zu bleiben und dieses auszuschlachten? Und auch die anwesenden Gäste wie etwa eine Mutter von acht Kindern, ausreden zu lassen und dieser vielleicht noch eine Frage mehr zu stellen? Es geht hier um die Zukunft Italiens, denn ohne Kinder kann ein Land nicht weiter existieren und da könnte man stundenlang diskutieren und das Thema aus diversen Blickwinkeln beleuchten. Und was wird stattdessen getan? Man wechselt das Thema.

Ich wünschte mir wirklich etwas mehr Ordnung und Zivilisation in diesem wunderschönen – wenn nicht gar weltschönstem – Land.

Ist jemand von euch auch in zwei Kulturen zuhause? Welche Art von Spagat müsst ihr machen?

Sarah Coppola-Weber ist gebürtige Ostschweizerin mit italienischem Pass. Sie lebt mit einem neapolitanischen Ehemann, zwei Töchtern (17 und 14) und einem Sohn (10) seit 18 Jahren in der Nähe von La Spezia. Für “Die Angelones” schreibt die ausgebildete Doula über Familien -, Gesundheits- und Ernährungsthemen sowie Themen, die Eltern den Alltag mit ihren Sprösslingen erleichtern und lässt dabei die LeserInnen am facettenreichen italienischen Alltag teilhaben, wo der Ausnahmezustand oft an der Tagesordnung und von „dolce far niente“ keine Spur ist!

Mehr über Sarah und ihre Familie erfahrt ihr in im spannenden Interview, das wir mit ihr führen durften!

Sarahs bisher erschienenen Beiträge könnt ihr hier nachlesen:

Aus dem Leben einer Doula:
Elterntipps:
Dolce Vita:

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