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Kinderkrebs, Schule und soziales Umfeld

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Werbung in Zusammenarbeit mit Kinderkrebs Schweiz

Auswirkungen von Kinderkrebs auf Schule und soziales Umfeld

Für krebskranke Kinder und Jugendliche spielt die Schule und das damit verbundene soziale Umfeld eine wichtige Rolle. Ob die schulische Integration und damit auch die Rückkehr in den Alltag und in die Normalität während und nach der Krebstherapie gelingt, ist allerdings Glücksache. Im Rahmen der neuen Kampagne von Kinderkrebs Schweiz haben wir mit der Mutter eines betroffenen Jugendlichen über die Auswirkungen der Krebskrankheit auf Schule und Berufslehre sowie auf die psychosoziale Entwicklung des jungen Mannes gesprochen.

Risiko, den Anschluss an Schule und soziales Umfeld zu verpassen

Das Risiko, dass betroffene Kinder und Jugendliche den Anschluss an den Schulstoff verpassen, ist gross. Genauso wie die Gefahr, dass sie ihr soziales Beziehungsnetz verlieren. Denn: Die Schule ist mehr als nur ein Ort, an dem Kinder und Jugendliche lernen. Sie ist auch ein Ort, wo Kinder und Jugendliche soziale Kontakte pflegen und ihre Persönlichkeit entwickeln. Jungen Menschen mit Krebs gibt die vertraute Umgebung der Schule das Gefühl von Sicherheit und vor allem Zugehörigkeit. Insbesondere Freundschaften spielen im Zusammenhang mit der Schule eine wichtige Rolle. Gelingt die Rückkehr in die Schule und in das angestammte soziale Umfeld nicht, hat das schwerwiegende Folgen. Es kann zum Abbruch der Schullaufbahn kommen, Berufswünsche verunmöglichen und auch schwere psychosoziale Folgen haben, wie zum Beispiel Angstzustände, Depressionen und Vereinsamung. Ob die Integration in die Schule und in den Alltag gelingt, ist trotz Bemühungen von Schulen, Lehrpersonen, Eltern und betroffenen Kindern leider eine Glückssache. Es gibt keine schweizweiten Richtlinien, die Situation variiert von Schule zu Schule und von Kanton zu Kanton.

Wir haben mit Yvonne Huber gesprochen. Sie ist die Mutter von Marco, der im Alter von elf und nochmals mit 14 Jahren die Diagnose Hirntumor erhielt. Frau Huber schildert uns, wie sich die Spätfolgen der Krebskrankheit auf Schule, Berufslehre und auf das soziale Leben von Marco auswirken.

Liebe Frau Huber, mögen Sie uns etwas über Marco erzählen? Was für ein Kind war er?

Marco war von klein auf ein lebhafter Junge – besonders während seiner Primarschulzeit. Auch wenn seine schulischen Leistungen ganz in Ordnung waren, war für ihn die Schule zweitrangig. Viel lieber war Marco draussen und verbrachte seine freie Zeit mit seinen Freunden. Sein Wesen strahlte Lebensfreude und Leichtigkeit aus.

Wie hat die Diagnose sein Leben und das Ihrer ganzen Familie verändert?

Mit 11 Jahren wurde Marco ein Hirntumor diagnostiziert. Das hat alles schlagartig verändert. Ich verbrachte die ersten vier Wochen nach der Diagnose ununterbrochen im Spital und kehrte nicht mehr nach Hause zurück. Zu dieser Zeit war ich in der Geschäftsleitung unserer eigenen Firma tätig und wir mussten notfallmässig umorganisieren. Mein Mann musste plötzlich alleine die Verantwortung für das Unternehmen tragen, während ich mich um unseren Sohn kümmerte. Die Situation war auch für Marcos Schwester eine überaus belastende Erfahrung.

Nach zahlreichen Untersuchungen, Eingriffen und Chemotherapien konnte Marcos Tumor operativ entfernt werden. Nach einer Protonentherapie galt unser Sohn schliesslich als geheilt. Leider kam es drei Jahre später zu einem Rückfall, der eine erneute Operation, Hochdosis-Chemo und wieder eine Protonentherapie erforderte. Die Prognosen waren sehr ungünstig, was bei Rezidiven von Hirntumoren leider häufig der Fall ist. Marco hatte aber grosses Glück und konnte sich nach zahlreichen weiteren Massnahmen wieder erholen. Heute ist er recht gesund.

Marco konnte während der verschiedenen Krankheits- und Therapiephasen die Schule nicht besuchen. Hat er in dieser Zeit den Anschluss verpasst?

Marco konnte während dieser Phasen nicht viel machen für die Schule. Glücklicherweise waren die Lehrpersonen sehr verständnisvoll. Jedenfalls hat Marco die Schulzeit absolvieren können und konnte im Anschluss eine Gärtnerlehre starten.

Wie wirken sich die Spätfolgen auf die Berufsschule und die Arbeit im Lehrbetrieb aus?

Marco leidet unter chronischer Müdigkeit, hat Aufmerksamkeits- und Konzentrationsprobleme sowie eine verminderte Merkfähigkeit, was seinen Alltag anstrengender macht. Marco hat grosses Glück, dass er in einem kleinen Lehrbetrieb arbeiten kann. Sein Vorgesetzter ist sehr verständnisvoll, auch in Bezug auf seine vielen Abwesenheiten wegen Nachkontrollen sowie einem zusätzlichen Ruhetag pro Woche. Aufgrund der Spätfolgen hatte Marco anfänglich in der Berufsschule Probleme. Es ging zu schnell für ihn, er hatte Mühe mitzukommen, auch weil es in den Regelklassen mit gegen zwanzig Lernenden zu laut und unruhig für ihn war. Unterdessen besucht er die Berufsfachschule für Lernende mit Hör- und Kommunikationsbehinderung (BSFH) in Zürich-Oerlikon. Hier gehen Jugendliche zur Schule, die irgendeine Beeinträchtigung haben. Marco kann hier in Kleingruppen arbeiten und die Chancen stehen sehr gut, dass er die Lehre mit dem Fähigkeitszeugnis regulär abschliessen kann.

Welche Auswirkungen hatte die Krankheit auf Marcos soziales Leben?

Die psychosozialen Folgen der Krankheit und der Therapien wiegen am schwersten. Vor seiner Erkrankung hatte Marco viele Freunde. Aber mit der Krankheit und den Therapien hat sich alles verändert. Die Schule hat zwar sehr mitgeholfen, dass er beim Unterrichtsstoff nicht abgehängt wurde, aber dadurch, dass er zweimal so abrupt für über ein halbes Jahr aus seinem alten Leben herausgerissen wurde, hat Marco den sozialen Anschluss an seine Klassenkameraden verloren. Die Schulkollegen und die Lehrpersonen waren zwar alle sehr liebevoll zu ihm, schrieben ihm Briefe, machten Plakate – aber im direkten Austausch mit seinen ehemaligen Schulfreunden gelang es beiden Seiten nicht mehr, den gegenseitigen Draht zu finden.

Marco hat grosse Kontaktschwierigkeiten und Mühe im Umgang mit Gleichaltrigen. Er versteht seine früheren Kollegen nicht mehr, hat nicht mehr die gleiche Wellenlänge. Seine Erfahrung mit der Krebs-Erkrankung hat ihn in gewissen Bereichen innert Kürze vom Kind zum Erwachsenen reifen lassen. Deshalb knüpft unser Sohn eher Kontakte zu Erwachsenen. Sein Sozialleben ist sehr eingeschränkt. Marco ist isoliert und deshalb oft alleine zu Hause. Er litt zeitweilig auch an einer Depression, hat sich aber jetzt wieder gefangen.

Was würden Sie sich für Marco und anderen Betroffenen wünschen?

Wir hatten im schulischen und beruflichen Bereich grosses Glück, dass wir auf verständnisvolle und gute Menschen gestossen sind. Von da her habe ich persönlich keinen Bedarf an mehr oder weiteren Unterstützungsangeboten. Vom psychosozialen Aspekt her finde ich es aber extrem schwierig. Ich sehe, dass es schon im 2017 Massnahmen gebraucht hätte, damit Marco sich bei den Gleichaltrigen wieder hätte integrieren können. Wir hätten dringend eine erfahrene Fachperson benötigt, welche die psychosozialen Auswirkungen der Spätfolgen auf das Leben eines Jugendlichen mit all seinen Bdürfnissen und Herausforderungen kennt. Eine Person, die Marco Chancen und Lösungen aufgezeigt hätte. Das wäre sehr wertvoll gewesen und das hat uns leider sehr gefehlt. Wegen seiner Depression hat Marco nach einem halben Jahr Wartezeit einen Termin bei einer Psychologin erhalten, leider war es nicht hilfreich.

Ganz ohne Hilfe waren wir nicht: Die Komplementärärztin von Marco hat in ihren Sprechstunden die akutesten Probleme mit Marco besprochen. Auch ich als Mutter habe diese Therapeuten-Rolle ein Stück weit übernommen. Aber als Mutter geht das nur bedingt. Marco muss schliesslich lernen, selbständig zu werden, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Ich wäre froh gewesen, wenn jemand Drittes diese Rolle hätte übernehmen können. Marco hat nach der Akut-Phase ausser ein paar Gesprächen psychologisch überhaupt keine Hilfe bekommen – nach der Erkrankung war der psychosoziale Aspekt das schwierigste Thema. Im Moment bemüht sich seine Onkologin, dass er einen Onko-Psychologen bekommt, nun hoffen wir sehr

Welche Ziele verfolgt Marco? Welche Träume hat er?

Marco konnte sich glücklicherweise aus einer Depression erholen und nun schaut er recht zuversichtlich bereits Richtung Lehrabschluss hin. Er ist verständlicherweise etwas nervös, aber er freut sich, die Lehre und damit auch das Kapitel Schule abschliessen zu können. Da er seit klein auf grosse Baumaschinen liebt, könnte er sich einerseits vorstellen, eine Zeit lang mit solchen Maschinen in einer Kiesgrube zu arbeiten. Andererseits hat er auch schon die Fühler Richtung Deutschland ausgestreckt, wo er allenfalls in der grössten Gärtnerei Europas eine Zeit lang arbeiten könnte!

Vielen Dank liebe Frau Huber, für den Einblick, den Sie uns ins Leben Ihres Sohnes und Ihrer Familie gewährt haben und für Ihre persönlichen Erfahrungen rund um die Auswirkungen von Spätfolgen auf Schule, Beruf und soziales Leben. Wir wünschen Marco und Ihrer ganzen Familie alles Gute!


Mittendrin statt aussen vor

Für krebskranke Kinder und Jugendliche spielt die Schule eine besonders wichtige Rolle. Denn sie bedeutet Rückkehr in den Alltag und in die Normalität. Sie gibt Halt und Sicherheit, ist sozialer Dreh- und Angelpunkt und eröffnet Zukunftsperspektiven. Ob die schulische Integration während und nach der Therapie gelingt, ist jedoch Glücksache. Denn trotz vorhandener Bemühungen gibt es grosse kantonale und regionale Unterschiede. Der Weg zu einem Schulsystem, das allen schwerkranken Kindern gleichberechtigte Bildungschancen einräumt, ist somit noch weit. Zu den Leidtragenden gehören auch von Krebs betroffene Kinder und ihre Eltern.

Weitere Informationen gibt es auf der Webseite von Kinderkrebs Schweiz

Dieses Interview ist in Zusammenarbeit mit Kinderkrebs Schweiz entstanden.

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