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Homeschooling in der Schweiz – ein Erfahrungsbericht

Homeschooling in der Schweiz - ein Erfahrungsbericht einer Familie die ihre Kinder zu Hause unterrichtet
Unterricht zu Hause: Ein Homeschooler am Werk!

Homeschooling – Schluss mit Schulstress?

Sommerferien: Während sich manche Eltern überlegen, wie sie ihre Sprösslinge fünf oder sechs Wochen lang beschäftigen können, gibt es auch Eltern, die sich freuen, dass endlich etwas Ruhe in den Familienalltag einkehrt. Für viele Familien bedeutet der normale Schulalltag nämlich fast täglichen Stress. Weinende Kinder, die morgens zum Kindergarten oder in die Schule müssen. Streit wegen den Hausaufgaben. Stress wegen Prüfungen und Noten. Tränen wegen Mobbing. Physische Symptome wegen Leistungsdruck. Diese Eltern atmen erleichtert auf, wenn die Sommerferien starten, denn endlich können ihre Kinder wieder sich selber sein, ohne Stress, ohne Symptome, ohne Tränen.

Homeschooling in der Schweiz - ein Erfahrungsbericht einer Familie die ihre Kinder zu Hause unterrichtet
Lernort Familie ist ein wichtiger Bestandteil des Homeschoolings

Homeschooling als Alternative zu Schulstress? Wie funktioniert der Unterricht zu Hause?

In solchen Ferienwochen kommt vielleicht bei manchen wieder der Gedanke auf, dass es doch eine Alternative geben sollte. Ob man da nicht etwas machen könnte, damit der Stress den Familienalltag nicht immer so prägt. Es wird viel diskutiert, über Privatschulen, über einen Schulwechsel, über Psychologen und Therapien und vielleicht, ja, vielleicht sogar über Homeschooling. Könnte man wirklich eventuell die Kinder aus der Schule nehmen und zu Hause lassen und sie selber unterrichten? Geht das? Darf man das? Und wie funktioniert das überhaupt?

Homeschooling? Anfänglich unvorstellbar, heute Realität!

Ich unterrichte meine Kinder seit fünf Jahren zu Hause. Da ich viele Jahre im Ausland wohnte und arbeitete, kannte ich das Konzept vom Homeschooling bereits gut und konnte es mir nie vorstellen, das selber einmal zu machen. Doch als unsere Tochter in der 1. Klasse etliche Stresssymptome, eine Prüfungsangst und Mathephobie entwickelte, wussten wir, dass sich etwas ändern musste. Wir nahmen sie deshalb nach der 1. Klasse aus der Schule. Zuerst einmal für ein Jahr, dachten wir. Es ging so gut, sie blühte auf und alle ihre Symptome verschwanden, dass wir entschieden, mal bis zur 6. Klasse weiterzumachen. Im August kommt sie nun in die 7. Klasse und für uns ist nun klar: wir setzen mit dem Homeschooling fort.

Unser Sohn war im Kindergarten, als seine Schwester mit Homeschooling anfing. Kurz nach dem Stichdatum geboren und hochbegabt, fing er aus lauter Langeweile schon bald damit an, die anderen Kinder in seiner Klasse zu plagen. Wir beobachteten diese Entwicklung eine Weile lang skeptisch und entschieden uns dann, ihn in der Mitte des zweiten Kindergartenjahres auch zu Hause zu unterrichten. Er absolvierte den Stoff der 1. Klasse in einem halben Jahr und kommt nun im August in die 6. Klasse.

Die Anzahl der Homeschooler in der Schweiz hat sich verfünffacht

Gemäss einer Umfrage vom Tages Anzeiger, werden schweizweit rund 2’100 Kinder zu Hause gebildet. Am Stärksten verbreitet ist Homeschooling in den Kantonen Waadt und Bern (je rund 600 Kinder). In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Kinder, die zu Hause unterrichtet werden, in manchen Kantonen verfünffacht. Leider ist Homeschooling in einigen Kantonen noch immer nicht erlaubt (zum Beispiel Kanton St. Gallen, Basel Stadt und Tessin) und in einigen Kantonen sind die Auflagen mehr oder weniger hoch (manchmal wird zum Beispiel ein Lehrerpatent verlangt).

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Lernen kann man überall!

Zu Hause unterrichten? Warum macht man das überhaupt?

Was sind denn die Gründe, weshalb manche Familien ihre Kinder zu Hause unterrichten? Es gibt so viele Gründe wie es Homeschool-Familien gibt. Viele homeschoolen, weil sie von Anfang an davon überzeugt sind und diejenigen sein möchten, die ihre Kinder am meisten prägen. Viele andere, wie wir auch, kommen erst später auf den Geschmack, meistens weil die Schullaufbahn ihrer Kinder nicht wie erwartet aussieht und/oder die Kinder nicht wie scheinbar alle anderen Kinder funktionieren. Sie leiden aus irgendeinem Grund in der Schule, durch Mobbing, durch den Leistungsdruck oder auch weil sie besondere Bedürfnisse haben wie Extraförderung wegen Hochbegabung, einer Lernschwäche oder eines Autismusspektrums.

Homeschooling: Wer macht so was denn?

Es gibt keine typische Homeschool-Familie. Es gibt Grossfamilien, Kleinfamilien, Alleinerziehende, Doppelverdiener, Christen, Atheisten, Veganer und Grillitarier, Akademiker, Handwerker, Stadtmenschen und Landmenschen und jede andere Familienart, die man sich so vorstellen kann.

Was in der Schweiz noch relativ unbekannt ist, ist vor allem im englischsprachigen Raum bereits eine ganz normale Alternative zur Volksschule. Viele berühmte Personen in der Gegenwart und Vergangenheit werden und wurden zu Hause gebildet, zum Beispiel Christina Aguilera, Justin Bieber, Selena Gomez, Ryan Gosling, Venus und Serena Williams, Albert Einstein, Thomas Edison, Agatha Christie und viele mehr.

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Homeschooling bietet viele Möglichkeiten für soziale Kontakte

Wie steht es mit der Sozialisierung von Homeschoolern?

Die Frage, die wir (und wohl alle anderen Homeschool-Familien auch) wohl am meisten gestellt bekommen. ist, ob unsere Kinder denn auch genug Sozialkontakte haben. Das Klischee, dass Homeschool-Kinder nicht genug sozialisiert werden, ist sehr alt und kommt aus dem Ursprung der Homeschool-Bewegung in Amerika, als streng religiöse Eltern ihre Kinder vor der bösen Welt schützen und isolieren wollten. Dies ist längst nicht mehr so. Sowohl in Amerika, wie auch immer mehr hier in der Schweiz, treffen sich Homeschool-Familien regelmässig für Exkursionen und Workshops und lockeres Beisammensein. Unsere Kinder gehen ausserdem drei- bis viermal pro Woche in den Sportverein und machen regelmässig mit Freunden und Freundinnen ab. Besonders gefallen mir lockere Homeschooler-Treffen in Turnhallen, Schwimmbädern oder auf Grillplätzen oder auch Homeschool-Projektwochen, wo Klein und Gross miteinander spielen, springen, rennen, schwimmen usw. Die Sozialisierung findet demnach nicht nur mit Gleichaltrigen, sondern mit Kindern jeglichen Alters und aus ganz verschiedenen Familien statt.

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Auch wer zu Hause unterrichtet wird, muss sich an den Lehrplan halten

Auch Homeschooler müssen sich an den Lehrplan halten

Auch wir, Homeschooler, möchten für unsere Kinder das Beste und es ist uns ein Anliegen, dass unsere Kinder eine gute Bildung erhalten. Dies wird auch regelmässig von den Behörden kontrolliert. Auch Homeschooler müssen sich an den Lehrplan halten. Mehr und mehr ehemalige Homeschool-Kinder in der Schweiz haben die Schule mittlerweile hinter sich und haben sich erfolgreich in der Berufswelt oder im Studium integriert. Viele absolvieren eine Lehre und andere wechseln in der 9. Klasse ins Gymnasium und absolvieren anschliessend eine Studium. Halt wie ganz normale Volksschüler auch.

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Homeschooling bietet die Möglichkeit, individuell auf das Kind einzugehen

Homeschooling bietet Zeit, um Stärken zu fördern

Was gefällt uns besonders am Homeschooling? Als Mami liebe ich es, dass ich die Kinder gemäss ihren Stärken und Interessen fördern kann. Klar muss auch unsere Tochter Mathematik machen und unser Sohn zeichnen und malen, aber sie haben sehr viel Zeit, sich in ihren Stärken zu entwickeln. Unsere Tochter zeichnet, malt und gestaltet jeden Tag stundenlang und hat Zeit, um an der Schule für Gestaltung und anderen Kunstinstitutionen Kurse zu nehmen. Unser Sohn liebt alles was mit Informatik, Computern allgemein, Programmieren und Technik zu tun hat. Er lernt momentan die Programmiersprache Javascript und ist fasziniert von der Robotik. Den Kindern gefallen unsere Exkursionen sehr, da sie dann ganz praktisch und nicht nur zu Hause aus einem Lehrmittel lernen dürfen.

Auch wenn es natürlich nicht immer nur friedlich und einfach bei uns zu Hause zu und her geht, habe ich die Entscheidung, die Kinder zu Hause zu unterrichten, noch nie bereut. Ja, es verlangt ziemlich viel von mir und manchmal würde ich auch gerne ausser Haus arbeiten und zum Familienbudget beitragen, aber ich weiss mit hundertprozentiger Sicherheit, dass Homeschooling das Beste für unsere Kinder ist und auch mich fordert es auf positive Weise heraus: ich lerne so viel dabei!

Wer hat auch Erfahrung mit Homeschooling und mag sich hier mit uns austauschen? Welche Fragen habt ihr noch zum Unterricht zu Hause?

Hier findet ihr zwei Links zu weiteren interessanten Beiträgen zum Thema „Homeschooling“, die eine andere Facette aufzeigen:

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Thirza Schneider

Thirza Schneider lebt mit ihrem Ehemann, einer Tochter (12), einem Sohn (10) und einem somalischen Pflegesohn (16) seit sieben Jahren in der Nähe von Bern. Vorher wohnte sie viele Jahre im Ausland. Sie studierte Journalismus in London, England und Sozialpädagogik in Minnesota, USA und leitete eine Hilfsorganisation in Kirgistan. Sie ist aktuell die Präsidentin vom kantonalen Verein Bildung zu Hause Bern. Auf ihrem Blog swisshomeschoolfamily.org schreibt sie über ihren Homeschool-Alltag und bietet Rat und Empfehlungen für aktive Homeschool-Familien.

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2 Kommentare

  • Patricia Lüthi
    21. September 2021 at 18:50

    Ich hätte da mal eine Frage. Wie muss man vorgehen um ein Kind in Homscool zu unterrichten? Wo bekommt man das Lehrmaterial und wo muss man sich dafür einschreiben?

  • Rita Angelone
    21. September 2021 at 20:08

    Liebe Patricia, danke für deine Nachfrage. Am besten du wendest dich an Thirza Schneider (info@swisshomeschoolfamily.org) – sie hilft dir sicher gerne weiter. Lieber Gruss und viel Erfolg, Rita

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