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Hirntumor und seine Spätfolgen

Hirntumor und seine Spätfolgen
Andrea liebt die Natur und steht mit beiden Beinen mitten im Leben

Hirntumor und seine Spätfolgen im Erwachsenenleben

Wie ist es, mit 16 an einem Hirntumor zu erkranken? Als geheilt zu gelten und zwei Jahre später einen Rückschlag zu erleiden? Wie ist es, wegen Operationen, Bestrahlungen und Chemotherapien halbseitig gelähmt zu sein, doppelt zu sehen und unter Vergesslichkeit zu leiden? Aus all diesen Gründen das Gymnasium abbrechen zu müssen und auf dem Lehrstellen- und Arbeitsmarkt grosse Schwierigkeiten vorzufinden? Andrea ist heute 31. Sie hat sich von den vielen Rückschlägen und Einschränkungen nie entmutigen lassen und geht seit Jahren ihren eigenen Weg. Im Interview mit der intelligenten und bemerkenswert positiv denkenden Frau habe ich mehr über ihr Leben als Langzeitüberlebende, ihre Herausforderungen und ihre Wünsche erfahren.

Die Diagnose «Hirntumor» stellt das Leben der Betroffenen von einem Tag auf den anderen auf den Kopf und konfrontiert sie mit grossen Herausforderungen. Auch nach einer erfolgreichen Behandlung kann sich die Lebenssituation der ganzen Familie bleibend verändern.

– Kinderkrebs Schweiz –

Liebe Andrea, du bist als 16-jährige Gymi-Schülerin an Krebs erkrankt. Was passierte damals mit dir, mit deiner Familie?

Es war kurz vor den Sommerferien. Wir hatten als Familie etwas Schönes geplant und freuten uns auf die gemeinsame Zeit. Doch zuvor stand ein Arztbesuch an. Seit einiger Zeit schon hatte ich festgestellt, dass mein Körper nicht mehr ganz so war wie vorher, dass die rechte Körperhälfte nicht mehr gleich funktionierte wie die linke. Auch meiner Mutter waren diese Veränderungen nicht entgangen. Doch mit der Diagnose Hirntumor hatte niemand von uns gerechnet. Schlagartig wurden nicht nur unsere gemeinsamen Sommerferienpläne über den Haufen geworfen, sondern mein ganzer Lebensentwurf und mit ihm auch das Leben meiner Familie.

Was geschah dann?

Ich wurde sofort operiert und war in der Folge halbseitig gelähmt. Glücklicherweise konnte ich mich in der Reha weitestgehend davon erholen und nach den Herbstferien wieder zurück ans Gymi gehen. Meine Lehrpersonen sind mit der Situation sehr gut umgegangen und haben meine Erkrankung mit meinen Schulkolleginnen und -kollegen thematisiert und verarbeitet. Selber hatte ich mich während der Reha so gut es ging auf die Rückkehr in die Schule vorbereitet. Wegen meiner Lähmung bekundete ich allerdings Mühe, im Unterricht mitzukommen. Vor allem das Schreiben fiel mir schwer.

Zwei Jahre später kam der Rückschlag…

Bei einer Nachuntersuchung war der Tumor wieder da. Dieses Mal wurde ich nicht nur operiert, sondern erhielt im Anschluss auch Bestrahlungen und Chemotherapie – die Auswirkungen der Therapien waren schwer. Dennoch kehrte ich wieder zur Schule zurück und wollte alles daran setzen, das Gymi zu beenden. Leider folgte ein weiterer Rückschlag: Nach einem multiplen Organversagen, einer Lungenembolie und einer Hirnblutung mussten ich reanimiert, in ein künstliches Koma versetzt und mehrmals operiert werden. Danach war ich blind und es dauerte lange, bis ich wieder sehen, reden und gehen konnte – alles mit Einschränkungen, die bis heute anhalten.

Was hat der Krebs für deinen schulischen und beruflichen Weg bedeutet?

Nach diesem grossen Rückfall musste ich schweren Herzens das Gymnasium abbrechen und einsehen, dass mein Traumberuf in der Architektur keine Option mehr war. Stattdessen habe ich eine teilgeschützte KV-Lehre gemacht. Richtig schwierig wurde es danach, als es darum ging, auf dem regulären Arbeitsmarkt eine Arbeitsstelle zu finden. Viele Arbeitgeber sind nicht bereit, jemanden einzustellen, der viele Stärken hat, aber aufgrund der Behinderung auch Schwächen, die eine «volle» oder «normale» Leistung nicht möglich machen. Die Diskrepanz zwischen dem, was ich eigentlich könnte und wüsste und dem, was ich aufgrund der Spätfolgen wirklich kann, ist zum Teil sehr gross.

Wenn eine Rückkehr in das alte Leben aufgrund der Spätfolgen nicht mehr möglich ist, kommen viele Fragen in Bezug auf die schulischen und beruflichen Perspektiven auf. Manchmal wissen Eltern und Survivors nicht, wohin sie sich wenden können und welche Hilfen ihnen zustehen. Auch wenn es vielen Survivors gelingt, trotz ihrer Einschränkungen, eine Ausbildung zu absolvieren, ist es nicht immer möglich, eine Stelle auf dem regulären Arbeitsmarkt zu finden. Und manche merken erst nach Jahren, dass ihre Leistungsfähigkeit nachlässt, weil die Spätfolgen zunehmen.

– Kinderkrebs Schweiz –

Welche Langzeitfolgen machen dir am meisten zu schaffen?

Am meisten zu schaffen, machen mir die Langzeitfolgen, die weitestgehend unsichtbar sind. Unter dem Strich wirkt sich mein Gedächtnis, das nicht mehr so wie früher funktioniert, am meisten aus. Meine Lähmung habe ich unterdessen so weit es geht akzeptiert. Dass ich Doppelbilder sehe, weil mein Gehirn die Bilder, die das rechte Auge macht, nicht vollständig mit den Bildern des linken Auges zusammenfügen kann, macht mir mehr und mehr zu schaffen. Sowie meine ständige Müdigkeit. Ich fühle mich morgens nie wirklich ausgeschlafen, denn um im Alltag zurecht zu kommen, muss ich für Vieles andere Strategien finden. Das ist sehr anstrengend. All diese Spätfolgen sind meine Begleiter geworden. Sie beeinflussen mein psychisches Wohlbefinden. Aber dennoch habe ich meine Lebensfreude und den Mut, Neues anzupacken, nicht verloren

Du lebst unterdessen nicht mehr bei deinen Eltern

Auch wenn ich mit meinen Eltern nach wie vor sehr gut auskomme und wir auch immer noch zusammen in die Ferien fahren, so begann ich doch vor ein paar Jahren den Wunsch zu verspüren, von zu Hause auszuziehen und ein „normales“ Leben zu führen. Dazu gehört auch die Abnabelung von den Eltern. Trotz meiner Einschränkungen habe ich es geschafft, mir ein eigenständiges Leben aufzubauen. Heute bin ich 31 und wohne mit einer Kollegin in einer tollen Wohnung, die auch für meine Manufaktur genug Platz bietet!

Erzähle uns mehr über deine Manufaktur – was machst du da genau?

Ich habe mir den Traum von einer kleinen Manufaktur erfüllt! Inspiriert durch die Natur verarbeite und verkaufe ich allerhand Naturerzeugnisse zu Köstlichkeiten wie Balsamico, Öl, Tee oder Konfitüre und Gelee, die nicht nur fein, sondern auch gesund sind. Davon leben kann ich allerdings nicht – es ist ein Hobby und wird es auch bleiben. Mit meiner Arbeit möchte ich vor allem meine Leidenschaft weiter geben, die Sinne für die Köstlichkeiten der Natur schärfen und inspirieren!

Welche Erfahrungen hast du als Langzeitüberlebende in Bezug auf Unterstützungsangebote gemacht?

In der akuten Phase der Erkrankung, wird alles getan, um einem zu helfen. Die medizinische Behandlung ist sehr gut. Schwieriger wird es nach der Reha, wenn es darum geht, wieder in einen «normalen» Alltag zurückzukehren, sei es in die Schule, Lehre oder den Beruf. Als Survivor hat man viele Fragen, weiss aber oft nicht, an wen man sich wenden kann. So erging es mir häufig. Die Fachstelle von Kinderkrebs Schweiz ist eine gute Anlaufstelle und hat mich in vielem unterstützt und informiert, aber gerade in Bezug auf die berufliche Integration bräuchte es unbedingt noch mehr Angebote auf dem Berufsmarkt.

Was könnte man deiner Meinung nach verbessern?

Ich erhoffte mir damals mehr Unterstützung bei der Stellensuche und vielleicht sogar auch eine Begleitung während einer Anstellung. Ich kenne meine vielen Stärken und ich möchte mit dem, was ich kann, einen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Doch es ist wieder diese Kluft zwischen dem, was ich könnte und dem, was ich kann, die mir einen Strich durch die Rechnung macht: An einem Arbeitsplatz in einer geschützten Werkstatt bin ich unterfordert und auf dem freien Arbeitsmarkt aber überfordert. Für Menschen wie mich ist es schwierig, konkrete berufliche Perspektiven zu entwickeln. Vor allem in dieser Frage fallen wir durch die Maschen.

Wie gehst du mit all dem um? Und deine Familie?

Ich habe viel Unterstützung durch meine Familie erhalten. Und erhalte sie noch immer. Wofür ich ihnen unendlich dankbar bin! Ja, mein Leben fordert mich echt und ist eher eines von der schwierigen Sorte.
Meine Mutter war und ist mir unter anderem eine wichtige Stütze, ein wichtiger Wegweiser. Sie hat mich gelehrt, immer nur Schritt für Schritt weiter zu schauen und jeden noch so kleinen Erfolg oder Moment der Freude zu erkennen und zu schätzen. Meine Eltern haben das sehr gut gemacht. Sie haben sich um mich gekümmert, ohne aber meine Schwester zu vernachlässigen. Sie haben versucht, eine gewisse Normalität zu leben. Ohne meine Eltern wäre ich nicht da, wo ich heute stehe.

Was wünscht du dir für deine Zukunft?

Ich wünsche mir einen Job der mich fordert, aber nicht überfordert, einen Arbeitsplatz, an dem ich als Teil der Gesellschaft wahrgenommen werde und nicht als jemanden, auf den man Rücksicht nehmen muss. Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass es nur wenige Arbeitgeber gibt, die bereit sind, sich auf so jemanden wie mich einzulassen, weil es einen Mehraufwand für sie bedeutet. Deshalb stellt sich für mich die Frage: Wie oder wo finde ich eine solche Stelle? Und ja, ich wünsche mir auch eine Familie, einen Partner an meiner Seite. Doch auch da stellt sich die Frage: Wer ist bereit, sich auf mich einzulassen? (Andrea schmunzelt) Ich bleibe zuversichtlich. So wie bis jetzt alles gut gekommen ist, so wie ich die tolle Wohnung gefunden, meine Manufaktur auf die Beine gestellt habe, so wird alles andere ebenfalls auf mich zukommen, wenn es an der Zeit ist.

Survivors, die nicht vollständig auf eigenen Beinen stehen und finanziell unabhängig sein können, sind – zusammen mit ihren Familien – ein Leben lang gefordert und fühlen sich oft alleine gelassen. Deshalb braucht es dringend mehr Anlaufstellen, die Survivors und ihre Eltern psychologisch und sozialrechtlich beraten sowie wirksame und langfristige Unterstützung bei der beruflichen Integration und im Arbeitsleben anbieten.

– Kinderkrebs Schweiz –


Dieses Interview ist im Rahmen der durch uns unterstützten Kampagne Diagnose «Hirntumor» von Kinderkrebs Schweiz entstanden. Wir danken Andrea Glättli herzlich, dass sie uns einen Einblick in ihr Leben als Survivor gewährt hat. Für die Zukunft wünschen wir Andrea nur das Beste.

Wer die Kampagne und die klinische Forschung unterstützen möchte, kann dies durch Teilen dieses Blogposts über die eigenen sozialen Medien (Facebook, Twitter, Instagram, Snapchat, Linkedin, Xing etc.) und Verwendung der Hashtags #4von5, #ShareDonate, #KinderkrebsSchweiz, #gogold tun. Vielen Dank!

Weiterführende Informationen zu Kinderkrebs Schweiz sowie zur Kampagne «Hirntumor» findet ihr auf der Webseite.

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Wie ist es, mit 16 an Hirntumor zu erkranken? Als geheilt zu gelten und zwei Jahre später einen Rückschlag zu erleiden? Wie ist es, wegen Operationen, Bestrahlungen und Chemotherapien halbseitig gelähmt zu sein, doppelt zu sehen und unter Vergesslichkeit zu leiden? Aus all diesen Gründen das Gymnasium abbrechen zu müssen und auf dem Lehrstellen- und Arbeitsmarkt grosse Schwierigkeiten vorzufinden? Andrea ist heute 31. Sie hat sich von den vielen Rückschlägen und Einschränkungen nie entmutigen lassen und geht seit Jahren ihren eigenen Weg. Im Interview mit der intelligenten und bemerkenswert positiv denkenden Frau habe ich mehr über ihr Leben als Langzeitüberlebende, ihre Herausforderungen und ihre Wünsche erfahren.

Nachfolgend findet ihr weitere Interviews, die ich mit Betroffenen führen durfte:

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