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Diversity und LGBTQ+ in Kinder- und Jugendbüchern

Diversity und LGBTQ+ in Kinder- und Jugendbüchern
Werbung in Zusammenarbeit mit Schweizer Vorlesetag

Mehr Diversity in der Kinder- und Jugendliteratur

Wenn Kinder- und Jugendbücher nur von einer binären Geschlechterordnung zwischen Mann und Frau erzählen, schliessen sie die vielfältigen Lebens- und Liebesformen aus, die in unserer Gesellschaft gelebt werden. Dadurch entstehen Vorurteile gegenüber Menschen, die für sich eine von der sogenannten Norm abweichende sexuelle oder geschlechtliche Identität beanspruchen. Gerade Kinder und Jugendliche, die auf der Suche nach ihrer eigenen Identität sind, halten in Büchern nach Figuren und Vorbildern Ausschau, mit denen sie sich identifizieren können. Merkt ein Kind oder ein Jugendlicher, dass er oder sie «anders» ist, schwul, lesbisch, bisexuell, transgender oder queer, aber kein Buch beschreibt, was er oder sie fühlen oder durchmachen, kann das Folgen auf ihre Geschlechtsidentifikation und Sexualität haben. Weshalb es wichtig ist, dass Diversität bereits in Kinder- und Jugendbüchern dargestellt wird und welche Folgen eine fehlende Repräsentation von LGBTQ+ in der Kinder- und Jugendliteratur hat, haben wir im Rahmen des Schweizer Vorlesetags mit Josia Jourdan, Gründer des Buchclubs Das pinke Sofa in einem spannenden Gespräch zum Thema Diversity und LGBTQ+ in Kinder- und Jugendbüchern diskutiert.

Josia Jourdan. Josia ist 19 Jahre alt und besucht aktuell noch das Gymnasium. Daneben arbeitet er freiberuflich als Journalist und Content Creator. Seit Josia 12 Jahre alt ist, bespricht er Bücher für seinen eigenen Blog und verfasst Zeitungsbeiträge rund um die queere Kultur. Und als wäre das alles noch nicht genug, hat er mit dem Pinken Sofa auch einen Buchclub auf Instagram gegründet. Hier gibt er zusammen mit seinem Kollegen Kai Spellmeier aus Berlin queere Buchtipps.

Lieber Josia, was bedeutet LGBTQ+? Was bedeutet queer? Worüber sprechen wir?

LGBTQ+ (lesbisch, schwul, bisexuell und transgender) und queer sind zwei ähnliche Begriffe. Beide beschrieben die Vielfalt im Bereich der Geschlechteridentität und Sexualität.

Du hast in deinem jungen Leben bereits mehr als 500 Bücher gelesen und trotzdem hast du lange nicht das Gefühl gehabt, dich irgendwo selbst wieder zu finden. Keine Figur in all den Büchern, die du früher gelesen hast, war so wie du – keine hatte die gleiche Sexualität wie du. Wann hast du bemerkt, dass du dich in keinem Buch wiederfindest? Dass keine Geschichte beschreibt, was du erlebst?

Es hat lange gedauert, bis ich meine eigene Sexualität verstehen konnte.

Ich habe mich in einer heteronormativen Welt bewegt und was ich damals gelesen habe, nahm ich als die einzige Realität wahr. Erst mit ungefähr sechzehn Jahren habe ich mich gefragt, weshalb ich so wenig Bücher mit queeren Männern oder schwulen Hauptfiguren kenne.

Das hat mich dazu geführt, das Pinke Sofa zu gründen, um mir selbst und anderen Menschen die Möglichkeit der Repräsentation zu geben und einfacher auf queere Literatur stossen zu können.

Weshalb ist es wichtig, dass bereits Kinder- und Jugendbücher vielfältig sind?

Ob Kindern oder Eltern – es hilft allen ganz allgemein, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die wir noch nicht kennen. Indem wir bereits mit kleinen Kindern vielfältige Bücher anschauen oder ihnen daraus vorlesen, können wir uns selbst weiterbilden. Zudem zeigen wir unseren Kindern mit diverser Literatur, dass wir für diese Themen offen sind.

Dabei darf man nicht vergessen, dass es in diversen Kinderbüchern nicht zwingend um Sexualität gehen muss, sondern zum Beispiel Regenbogenfamilien dargestellt werden oder Transkinder eine Rolle spielen. Vielfältige Literatur hat nicht nur mit Liebe und Sexualität zu tun, sondern mit der gesamten Vielfalt an Lebens- und Liebesformen. Dies kann man über Kinderbücher schon früh vermitteln. Kinder lernen dadurch, offen zu sein und sich selbst zu finden.

Ein schönes Beispiel für ein Kinderbuch, welches das Thema Diversity in seiner ganzen Vielfalt aufgreift, finde ich «Elmar». Der bunte Elefant, der aus der Reihe tanzt, steht für jede Form von marginalisierten Gruppen – sei das in Bezug auf Geschlechtsidentifikation, Sexualität, Herkunft, Hautfarbe oder geistige oder körperliche Einschränkungen.

Der Begriff Diversity soll also möglichst breit verstanden und nicht nur auf die Sexualität reduziert werden?

Ja, genau. Dennoch finde ich es wichtig, dass man darauf achtet, bei der Darstellung von Freundschaften in Kinderbüchern nicht ausschliesslich im gängigen heteronormativen Konstrukt gefangen zu bleiben. Es reicht aus meiner Sicht nicht, dass Kinder vielfältige Bücher anschauen oder lesen, aber nie auf Darstellungen und Beschreibungen von queeren Liebesformen stossen.

Wir sollten Diversität nicht nur akzeptieren, sondern wirklich leben. Genauso wie nicht sexualisierte Hetero-Liebe bereits in Kinderbüchern stattfindet, sollte auch queere Liebe ihren ganz normalen Platz darin haben.

Als Eltern ist man in der Verantwortung, die gesamte Vielfalt aufzuzeigen und darüber zu sprechen, dass es queere Liebe gibt.

Was kann fehlende Repräsentation im Kindes- und Teenageralter auslösen?

Wenn ein queerer Mensch in einem Umfeld aufwächst, in dem Queerness nicht existiert, so ist das grundsätzlich nicht änderbar. Aber die Medien, die ein queerer Mensch konsumiert, sollten ihm wenigstens das Gefühl geben, dass es gut ist, so wie er ist und dass er nicht alleine ist.

Fehlt die Repräsentation, besteht die Gefahr, dass sich queere Menschen einsam fühlen. Einsamkeit kann schnell zu Selbstzweifeln und Trauer führen.

Du hättest dir damals so etwas wie dein eigenes Pinke Sofa sehr gewünscht. Erzählst du uns etwas mehr über deinen Buchclub, den du zusammen mit deinem Kollegen Kai Spellmann betreibst?

Das Pinke Sofa ist ein Buchclub, der auf Instagram stattfindet. Wir lesen einmal pro Monat gemeinsam ein queeres Buch, besprechen es via Instagram-Posts und machen Live-Streams mit den Autor:innen. Dabei versuchen wir, gewisse Themenbereiche aufzubrechen. Für Instagram haben wir uns entschieden, weil dieser Kanal einen Safe Space bietet, in dem man sich – wenn man dies will – auch anonym bewegen kann.

Gerade junge Menschen in der Orientierungsphase trauen sich oft nicht, im Internet nach einem Buch über schwule Liebe zu googlen, geschweige denn in einem Buchladen danach zu fragen.

Über unseren Kanal bieten wir allen den Zugang zu queeren Büchern – nicht nur queeren Menschen, sondern auch am Thema interessierten Leserinnen und Lesern, die bereit sind, dazu zu lernen und respektvoll zu diskutieren.

Wie sieht die aktuelle Situation aus? Was hat sich in der Kinder- und Jugendbuchwelt verbessert?

Die letzten fünf Jahre waren sehr prägend für den Buchmarkt in diesem Segment. Social Media hat einiges dazu beigetragen, weil über Kanäle wie Instagram oder TikTok gewisse Themen einfacher und schneller ins Zentrum rücken konnten. Es ist schön zu beobachten, wie die Verlage dem Thema Vielfalt mehr Raum geben und mehr queere Autor:innen eine Plattform bekommen. Trotz dieser grundsätzlich positiven Entwicklung erscheinen immer noch sehr wenig neue queere Bücher. Aber: Das Thema bekommt mehr Aufmerksamkeit und es gibt immer mehr Auswahl – das ist gut. Dennoch findet man kaum Bücher zu Themen wie Trans- oder Asexualität.

Was sagst du zur Kritik, dass das Thema Diversity nur ein neuer Trend sei?

Dass sich sehr viele Menschen einfach nicht gesehen fühlen, ist definitiv kein Trend. Man sollte die Einsamkeit und deren Folgen nicht unterschätzen, die mit einer fehlenden Repräsentation einhergehen.

Es kann sein, dass es Unternehmen und Verlage gibt, die dieses Thema derzeit als wirtschaftliches Verkaufsargument wählen. Gesellschaftlich ist es aber sicher kein Trendthema. Für mich ist es oberste Priorität, dass sich Kinder und Jugendliche gesehen fühlen, dass sie nicht nur in der Literatur, sondern in allen Medienformen queere Identifikationsfiguren und Vorbilder finden.

Reicht es, wenn in jedem Buch eine queere Figur vorkommt?

Unser Ziel sollte sein, in Kinder und Jugendbüchern ein realistisches Bild unserer Gesellschaft darzustellen. Dafür braucht es nicht in jedem Buch eine queere Figur, doch wir müssen in der Literatur ein repräsentatives Abbild der verschiedenen Lebens- und Liebesformen schaffen.

Welchen Rat gibst du uns Eltern in dieser Frage?

Als Erwachsene sollten wir nicht nur über Diversität reden, sondern die Vielfalt leben, indem wir uns zusammen mit unseren Kindern auch auf queere Literatur einlassen, auch wenn das nicht unsere persönliche Realität widerspiegelt. Zudem ist es wichtig, dass man mit den Kindern über das Gelesene spricht und diese Gespräche ohne Schamgefühl stattfinden. Wenn man dem Thema Raum gibt, kommen die Kinder von selbst mit Fragen auf einen zu.

Was kann die Schule machen?

Die Schule spielt eine wichtige Rolle. Wir gehen alle sehr lange zur Schule und werden von ihr geprägt. Die Schule sollte das Thema Diversity auch dezidierter angehen – und zwar von Geschichte über Deutsch bis zu Biologie. Im Aufklärungsunterricht werden Queerness oder schwule Liebe kaum angesprochen und wenn, dann oft nur im Zusammenhang mit HIV, was zu einer Stigmatisierung führt. Auch bei der Auswahl der Literatur kann die Schule etwas tun. Selbstverständlich sollen, dürfen klassische Schriftsteller ihren Raum haben, aber es darf nicht sein, dass das Gesellschaftsbild von den vorwiegend „alten und weissen“ Männern so stark geprägt wird.

Gibt es viele queere Autor:innen?

Das ist ein besonderes Thema, weil es auch sehr viel mit dem Eindringen in die Privatsphäre der Autor:innen zu tun hat. Auch wenn sich diesbezüglich bereits einiges getan hat, gibt es in der Literaturbranche noch grosse geschlechterspezifische Unterschiede, zum Beispiel in Sachen Honorare. Aber ja, es gibt queere Autor:innen. Mit etwas Recherchearbeit findet man sie auch. Unser Buchclub soll auch hier Unterstützung bieten, indem wir eine Plattform bieten, um gezielt und unkompliziert queere Autor:innen zu finden und neue Bücher rund um das Thema Diversity kennen zu lernen.

Vielen Dank, lieber Josia, für dieses interessante Gespräch rund um Diversity und LGBTQ+ in Kinder- und Jugendbüchern. Mit deinem Buchclub leistest du wichtige Aufklärungsarbeit in dieser Sache und bietest viel Unterstützung beim Suchen und Finden guter vielfältiger Literatur für unsere Kinder! Wir wünschen dir weiterhin viel Erfolg und vor allem ganz viel Freude bei deinem Tun und freuen uns jetzt schon auf ein Buch von dir!

Nachfolgend könnt ihr das spannende Gespräch mit Josia Jourdan in einer ausführlicheren Variante auch als Podcast hören!

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Gerade Kinder und Jugendliche, die auf der Suche nach ihrer eigenen Identität sind, halten in Büchern nach Figuren und Vorbildern Ausschau, mit denen sie sich identifizieren können. Merkt ein Kind oder ein Jugendlicher, dass er oder sie «anders» ist, schwul, lesbisch, bisexuell, transgender oder queer, aber kein Buch beschreibt, was er oder sie fühlen oder durchmachen, kann das Folgen auf ihre Geschlechtsidentifikation und Sexualtität haben. Weshalb es wichtig ist, dass Diversität bereits in Kinder- und Jugendbüchern dargestellt wird und welche Folgen eine fehlende Representation von LGBTQ+ in der Kinder- und Jugendliteratur hat, haben wir mit Josia Jourdan, Gründer des Buchclubs "Das pinke Sofa" in einem spannenden Gespräch zum Thema Diversity und LGBTQ+ in Kinder- und Jugendbüchern diskutiert.

Im Rahmen des Schweizer Vorlesetags setzen wir uns mit einer Podcast-Trilogie für mehr Vielfalt in Kinderbüchern ein. Nebst dem Gespräch mit Josia Jourdan zum Thema Diversity sowie LGBTQ+ in der Kinder- und Jugendliteratur haben wir uns auch mit Buchbloggerin Eliane Fischer über die Wichtigkeit vielfältiger und klischeefreier Kinder- und Jugendbücher ausgetauscht und mit Kinderbuchautorin Andrea Karimé die Bedeutung von People of Colour und interkulturelle Themen in Kinder- und Jugendbüchern ausgeleuchtet.

Zudem erfahrt ihr im Podcast-Gespräch mit Barbara Jakob, Verantwortliche für die literale Förderung beim Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien, alles über die Bedeutung des Vorlesens und Lesens mit Kindern:

Als Schweizer Familienblog setzen wir uns seit Jahren für den Schweizer Vorlesetag ein – eine Initiative des Schweizerischen Instituts für Kinder- und Jugendmedien SIKJM. Bis zum Vorlesetag am 18. Mai 2022 gibt es in regelmässigen Abständen Blogbeiträge aus dem Netzwerk Schweizer Familienblogs rund um das Thema Vorlesen. Mal berührend. Mal lustig. Mal informativ. Die Übersicht über alle teilnehmenden Blogs und deren Themen findet ihr auf der Webseite Schweizer Vorlesetag oder auch nachfolgend:

Zudem findet am 18. Mai im Coworking Space Tadah ein Vorlesenachmittag mit Autor Alain Eicher statt, der aus seinem Buch Gian & Giacen vorliest!

Werdet auch Teil des Schweizer Vorlesetags – sei es bei euch zu Hause, im Kindergarten, in der Schule, im Verein oder als öffentliche Vorleseveranstaltung. Unter allen, welche eine Vorleseaktion eintragen, werden fünf Bücherpakete verlost!

Weitere spannende Beiträge zum Thema „Lesen“ findet ihr nachfolgend:

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