Schon einmal habe ich euch erzählt, dass ich seit Kindesbeinen Angst vor Staudämmen habe. Schuld daran sind unheilverkündende Aussagen, die ich in meiner Kindheit im Glarnerland zuhauf gehört habe: «Jechtersgott, wänn dr Linth-Limmerä chunnt oder dr Garichti, dä versuufemer z Schwandä alli gottserbärmlich, wämmer nüt sofort id Höchi seggled!»
Diese Angst vor einer riesigen Flutwelle lässt mich heute noch jeden Staudamm fürchten. Höre ich den alljährlichen Sirenentest, fährt mir dieser jedes Mal durch Mark und Bein, und ich fürchte, der Wasseralarm könnte vielleicht doch ernst sein. Mein Auswandern nach Zürich konnte mir diese Angst nicht nehmen. Hier droht der Sihlsee. Wenn der kommt, dann steht das Wasser in der Bahnhofstrasse bis 8 Meter hoch. Das habe ich irgendwo gelesen, und seither kriege ich auch dieses Bild nicht mehr aus dem Kopf.
Nun ist der Sihlsee tatsächlich gekommen, und es gab in der Tat Menschen, die sich auf eine grosse Flutwelle gefreut haben. So fest, dass sie letzte Woche nichts Besseres zu tun hatten, als sich an vorderster Front der Sihl entlang zu postieren, um eine «kontrollierte Katastrophe» bildlich festhalten zu können. In Sicherheit natürlich, denn auf eine richtige Katastrophe hätten sie dann schon keine Lust gehabt. Doch was für eine Enttäuschung: Die Flutwelle war leider nicht biblischen Ausmasses und hat sich auf Bildern und Videos nicht gut genug gemacht. Wie schade! Und vor allem: Wie fies von der Polizei, dass sie mit ihren Warnungen solche Hoffnungen geschürt hat!
So weit sind wir also. Wir wünschen uns Katastrophen, die auf Bildern und Videos gut aussehen, uns aber dennoch nichts anhaben sollen. Zu was für eine Art Gesellschaft haben wir uns entwickelt? Ist das nicht respektlos allen gegenüber, die von einer echten Flutwelle getroffen wurden oder die wirklich in einem Gefahrengebiet leben? Mir gibt das sehr zu denken.
Was hält ihr von solch einem voyeuristischen Verhalten?
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