Familienleben Kolumne

Die Nabelschnur

„Ich wünsche, ich könnte dich zurück in meinen Bauch versorgen.“ Dieser Spruch, den mir meine Mutter zu predigen pflegte, ist mir während unserer Ferienwoche laufend in den Sinn gekommen.

Damals habe ich ihn nicht kapiert und ich habe mich – ständig nach Unabhängigkeit strebend – masslos darüber geärgert. Aber wie so manche Dinge, die meine Mutter sagte, verstehe ich heute langsam, was sie wirklich damit meinte.

Zum Unverständnis und Ärgernis des Familienoberhauptes war ich während unseren Wanderungen viel ängstlicher als er und mahnte ständig: „Schaut auf den Boden, lauft nicht zu nah an der Böschung, klettert nicht zu hoch!“ Überall sah ich Abgründe, Möglichkeiten, kopfüber ein Tobel runter zu stürzen oder die Köpfe auf spitzen Steinen aufzuschlagen. Im Wasserpark warnte ich vor den hohen Wellen, den schnellen Rutschbahnen, den rutschigen Böden und den frechen Kindern, die einem auf den Kopf springen könnten. In meiner Fantasie sah ich Schürfwunden, ausgeschlagene Zähne und nach Luft ringende Buben. Nicht einmal im Kinderzoo oder an der Viehschau konnte ich das Mahnen lassen: „Ponys beissen hinterhältig ins Gesicht, Esel schlagen aus und Kühe rammen einen zu Boden.“

Mit zunehmender Selbständigkeit der Buben wünsche ich mir nun auch, ich könnte sie zurück in meinen Bauch versorgen. Warm, gepolstert und abgeschirmt von allen Gefahren würde ich sie über Stock und Stein wandern führen, mit ihnen wohlige Bäder geniessen oder ihnen die verschiedensten Tierstimmen vorspielen.

Das Familienoberhaupt begreift dies alles nicht. Schliesslich hat er bei der Geburt die Nabelschnur eigenhändig durchgetrennt und somit den Grundstein für die Abnabelung von den Buben gelegt. Ich hingegen komme mir wie eine Gliedamputierte vor, die das fehlende Körperteil ein Leben lang weiter spürt. An dieser Phantomschnur werde ich die Buben zeitlebens, wenn auch nicht mehr ganz in den Bauch zurück, so doch von allen möglichen Gefahren wegzücken. Egal, wers kapiert oder nicht.

mittwochs immer im Tagblatt der Stadt Zürich

Können Sie meine Ängste nachvollziehen? Fühlen Sie Ihre Nabelschnur auch noch? Sind Väter wirklich weniger ängstlich? Oder tun Sie nur so?

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14 Kommentare

  • Tanja
    26. Oktober 2011 at 05:34

    Du sprichst mir aus dem Herzen…äh Bauchnabel!

  • Rita Angelone
    26. Oktober 2011 at 07:15

    @Tanja: 🙂

  • Nicole
    26. Oktober 2011 at 09:10

    Aha, da tauchen Unterschiede auf…. 😉 Ich denke nämlich, dass ich wirklich ein Mami mit relativ wenigen Ängsten bin. Und ich hatte in der Schwangerschaft mit Carmen, nach den beiden Fehlgeburten, sooooo wenig das Gefühl, dass das Kind in meinem Bauch geborgen und sicher ist, dass ich froh war, als es draussen war und ich mehr bestimmen konnte, was ich dafür tue, dass es sicher ist.
    Ich selber habe meine Mami als eher ängstlich empfunden (sie war bei der Geburt von mir aber auch erst 25, und da wäre ich wohl auch noch unsicherer gewesen…..), und ich versuche vor allem aus dieser Erfahrung raus, weniger ängstlich zu sein, und ich denke mal, dass mir das auch (meist) gelingt. Mein Mann kann das aber (noch) besser, und das ist bei fast allen Vätern so, welche ich kenne. Als sehr ängstlich empfinde ich eigentlich immer nur Männer, welche so wenig mit den Kindern Umgang haben, dass sie einfach aus Unwissenheit raus ängstlich sind.

  • Rita Angelone
    26. Oktober 2011 at 09:21

    @Nicole: ja, jetzt scheiden sich unsere Geister langsam… 😉
    Nein, im Ernst: ich weiss, was du meinst, mit dem froh sein, wenn das Kind endlich draussen ist – ich hatte das beim Zweiten auch. Weil ich da nicht mehr ganz so naiv schwanger war, sondern auch schon wusste, was bereits im Bauch alles schief laufe könnte. Deshalb war ich erleichtert, als er geboren wurde und ICH konnte dann auch mehr „bestimmen“ , dass es sicher war. Ich kenn das. Und mit deinem Erfahrungsrucksack ist es sowieso noch nachvollziehbarer.
    Was das Ängstliche anbelangt, ja, da beneide ich dich darum, dass du das besser im Griff hast. Dadurch ersparst du dir viele unnötige Gedanken. Weil eben: meistens macht man sich ja unnötig Sorgen.

  • Bionic Hobbit
    26. Oktober 2011 at 10:12

    Ich bin auch tendenziell weniger ängstlich als mein Mann. Ich sag schon ab und zu mal, wenn’s wo rutschig ist, aber wenn’s ums klettern geht, geh ich einfach mit, und wenn sie nicht mehr runter kommen, hole ich sie halt runter… ich finde es toll zu sehen, wie die Kinder immer sicherer werden.

    Mein ältester wurde übrigens letztes WE im Tierpark von Goldau von einem Geissbock von hinten gerammt 😀 und flog dann einen kleinen Absatz runter. Es wäre mir nie im Leben eingefallen, ihn vor so etwas zu warnen! Ist mir halt nie selber passiert. Dafür wurde ich als Kind von einem Esel gebissen.

  • Rita Angelone
    26. Oktober 2011 at 10:26

    @Bionic: hehehe…..! Jetzt empfehle ich euch den Tierpark Goldau, ihr geht und der Grosse wird gerammt. Von einem Geissbock. 🙂 Zumindest „beweist“ das ja, dass meine Ermahnungen nicht grundlos sind. Ich wurde eben auch schon von einem Böckli gerammt UND von einem Eselshuf fast am Kopf getroffen. Gebissen nicht. Na ja, Kinder haben wie Katzen ja mehrere Leben, oder?

  • SomeintPhia
    26. Oktober 2011 at 10:45

    Gerade am Wochenende haben wir dies im Bekanntenkreis diskutiert und es scheint wirklich, dass die Väter es jeweils relaxter sehen. Dies hat aber sicher auch damit zu tun, dass sie weniger um die Kinder rum sind, als die Mütter.

  • Rita Angelone
    26. Oktober 2011 at 10:57

    @SomeintPhia: ja, vielleicht sehen die Väter einfach weniger, was die Kinder alles so treiben und wo sie sich in Gefahr begeben…. aber Nicole meint, dass es auch möglich ist, dass gerade Väter, die weniger um die KInder herum sind, grad noch mehr Ängste haben,weil sie es sich nicht gewohnt sind…. also: alles ist möglich

  • Lorelai
    26. Oktober 2011 at 11:13

    Hihi, da hatten wir wohl die selben Gedanken, da kann ich nur auf meinen Blog verweisen 😉 Du kannst nicht kommentieren, hmm… ich bin leider überhaupt keine Fachfrau, ich sehe einfach, dass es ab und zu jmd zu schaffen scheint, einen Kommentar zu hinterlassen. Hat es bei Dir nicht auch einmal geklappt? Vlt liegt es am Browser? No idea 🙁

  • Rita Angelone
    26. Oktober 2011 at 11:21

    @Lorelai: ja und genau deinen Eintrag wollte ich kommentieren und da es nicht ging, habe ich halt grad eine Kolumne draus gemacht.

    Ich denke auch, dass es am Browser liegt. Übrigens, du hattest wie ich Probleme mit gugusdada – da lag es am Browser. Mit Firefox konnte ich keine Ortschaften abfragen, mit Internet Explorer dann schon.

  • Rösli
    26. Oktober 2011 at 18:57

    da stimme ich dir auch wieder zu, Rita, auch ich denke das manchmal (zwar ermahne ich nicht so extrem, denn ich finde Kinder solen Erfahrungen selber machen, solange es nicht gefährlich ist.. also im zoo darf sie den tiere nahe kommen und bei pferden sage ich ihr einfach, sie darf nicht hinten stehen, wegem ausschlagen).

    Ich weiss noch, dass ich, als sie 2 monate alt war, geträumt habe, ich musste wieder arbeiten, wollte aber meine Tochter beim mir haben und so steckte ich sie mir kurz vor arbeitsbeginn in den bauch, wenn sie durstig war holte ich sie versteckt raus, wieder erein, etc. und es war ein wunderbares gefühl, sie wieder im bauch zu haben, immer bei mir und geschützt:-)

    aber wegen der Nabelschnur… ich spüre sie noch immer, die die mich mit meiner Mutter verband. obwohl sie ja nicht mehr lebt, spüre ich es manchmal noch.
    Meine Tochter spüre ich anders, so, als wär sie an mich festgemacht. aber sie ist selbständig und frei und sehr kontaktfreudig, also sieht man es nicht.

    Ich mache mir mehr sorgen, wenn ich darank denke, dass sie in eine krippe gehen wird, in den kindergarten, die schule…
    einfach weil andere menschen sie dann anders bilden möchten und ich doch meine tochter besser kenne als sie.
    und dass es böse Kinder gibt. Und wenn ich denke, dass sie später alleine zur schule geht, den weg, der Verkehr, menschen….

  • Rita Angelone
    26. Oktober 2011 at 19:11

    @Rösli: das ist ganz interessant, dass du das mit dem Bauch geträumt hast – offenbar ist das schon noch ein Thema, das Mütter beschäftigen kann.
    Dass du deine Nabelschnur zu deiner Mutter noch spürst, finde ich auch ganz speziell, speziell schön. Das kenne ich jetzt gar nicht.
    Und das mit den Sorgen kann ich alles auch nachvollziehen – die äusseren Einflüsse nehmen zu und wir haben je länger je weniger die Möglichkeit zu „schützen“.

  • Nicole
    27. Oktober 2011 at 07:01

    @Lorelei: Habe es trotz Internet Explorer nicht geschafft, den Kommentar in deinem Blog zu veröffentlichen…..
    Daher hier noch kurz: Ich bin eben über deine letzten Sätze „gestolpert“: „Ich war da. Ich war da. Niemand anders. Das ist der grosse Unterschied.“ – Ich empfinde da halt ganz anders. Mir ist es „nur“ wichtig, dass jemand da ist, der sich gut kümmert. Das muss auf keinen Fall ich sein. Das kann mindestens gerade so gut mein Mann sein. Und auch zu den Betreuerinnen in der Krippe habe ich das Vertrauen. Leicht eingeschränkt 😉 habe ich es auch zu Personen im weiteren Familienkreis….. 😉

  • Lorelai
    27. Oktober 2011 at 11:23

    @Nicole: Bei ICH ist natürlich mein Mann inkludiert, dem vertraue ich zu 500% 😉 Danach kommt die Tagesmutter (od andere professionelle Betreuerinnen), der vertraue ich auch zu 100%. Aber wenn es um meine Familie im weitesten Sinne geht, die da wären a) Vater und seine Frau und b) Schwiegermutter, da kommt dann eben die Angst. Aber das hat auch Gründe, die mit diesen Personen und deren Charakter etc. im Zus’hang stehen, hier aber nicht hingehören.

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