Eine Herausforderung am Muttersein stellt das Gefühl des ständigen Fremdbestimmtseins und der immerwährenden generalstabsmässigen Planung des Alltags dar.
Die Buben diktieren den Tagesablauf: Ausschlafen liegt nicht drin, da ihre innere Uhr gnadenlos genau funktioniert. Spontan eine Mahlzeit streichen, ist unverantwortlich, da ihr Blutzuckerspiegel – zusammen mit der Stimmung der ganzen Familie – in ein Loch absackt. Der Takt ist genau vorgegeben, trotzdem kann jede Planung im Nu über den Haufen geworfen werden.
So steht man tagein tagaus um dieselbe Zeit auf, bereitet wie am Fliessband Mahlzeiten zu, traut sich aber kaum aufs Wochenende oder die Ferien zu freuen, weil man deren Eintreten und Verlauf nicht in der Hand hat. Für Selbstbestimmung und Spontaneität hat es in einer Familie wahrlich nicht viel Platz.
Umso mehr freut man sich auf kinderlose Auszeiten, während welchen man den Tagesablauf selbst bestimmen kann: schlafen, Kaffee trinken, Zeitung lesen, in der Stadt rumhängen, zu Hause rumlungern – alles genau dann und so lange, wie man will. Nichts ist vorgegeben, nichts ist geplant.
Bis man abends spontan Lust bekommt, fein essen zu gehen. Im Nu wird man zwar nicht mit der einschränkenden Familienrealität konfrontiert, sondern mit der paradoxen Tatsache, dass es in Zürich nicht mehr möglich ist, ein Restaurant zu finden, dass nicht bereits Tage im Voraus ausgebucht ist, weil ausgerechnet spontane und selbstbestimmte Kinderlose ihre Termine auf Monate hinaus planen.
Nicht einmal dann, wenn Spontaneität möglich wäre, ist sie einem vergönnt. Dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf, einen kinderlosen Abend genau da zu verbringen, wo ich will. So lasse ich mich schon mal auf die Warteliste für das Restaurant im obersten Stock des Prime Towers eintragen und hoffe, es reicht so auf meinen 50. Geburtstag. Bis dann werden alle Spontis und Coolen schon gar nicht mehr dorthin wollen!
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1 Kommentar
Josef Hasenfratz
12. Januar 2011 at 10:16Bravo Michèle, danke für diesen aufmunternden Blogeintrag. Lassen Sie sich von den Stänkerern nicht beirren!