Je mehr, desto weniger
Ihr kennt den Begriff der umgekehrten Proportionalität. Also, wenn ein Wert grösser und der andere im gleichen Verhältnis dazu kleiner wird. Genau so verhält es sich mit dem Alter von Kindern und der Freiheit von Eltern.
Kleine Kinder, kleine Sorgen
Sind die Kinder klein, kann man sich recht einfach Freiräume verschaffen, indem man sie ganztags in die Krippe bringt. Die Organisation des eigenen Arbeitsalltags gelingt in dieser Zeit ganz gut. Doch werden die Kinder älter und starten mit dem Kindergarten, fängt das Phänomen der umgekehrten Proportionalität langsam zu greifen an: Das eine Kind hat an den einen Tagen nachmittags frei, das andere natürlich genau an den anderen. Treten die Kinder später in die Schule über, wirkt sich die umgekehrte Proportionalität noch stärker aus. Nun hat das eine Kind zusätzlich am einen Tag Frühunterricht und das andere am anderen. Dafür kehrt das erste Kind nachmittags wieder früher nach Hause zurück, während das zweite nun länger Schule hat.
Grosse Kinder, grosse Sorgen
Normale Arbeitszeiten einzuhalten, ist bei einem solchen Schulsystem schier unmöglich, und zu denken, dass sich mit dem Übertritt in die Oberstufe etwas ändern würde, naiv. So wie es aussieht, entfaltet das Phänomen der umgekehrten Proportionalität genau in dieser Phase seine grösste Wirkung: An jedem einzelnen Wochentag haben meine beiden Oberstufen-Jungs verschiedene Tagespläne. Von frühmorgens bis spätabends herrscht in der Casa Angelone ein emsiges Kommen und Gehen. Parallel dazu sind meine Freiräume in diesen ersten Schulwochen gegen null geschrumpft.
Mein Traum einer Art „Ganztagesschule“ in der Oberstufe und damit verbunden mehr Freiraum für mich, um meiner eigentlichen Tätigkeit nachzugehen, ist geplatzt. Stattdessen führe ich einen 24-Stunden-Hotelbetrieb mit warmer Küche und Concierge-Service.
immer mittwochs im Tagblatt der Stadt Zürich
Kennt ihr diese Variante des Phänomens der umgekehrten Proportionalität auch?
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2 Kommentare
Janine Cardone-Glaus
26. August 2020 at 12:57Liebe Rita, du sprichst mir mit deinem Artikel von mehr Freiheit und älteren Kinder aus dem Herzen. Ich bin Mami von 3 Kindern im Alter von 13/11/9 Jahren. Bis vor einem Jahr habe ich die Firma meines plötzlich verstorbenen Vaters geführt. Im letzten Jahr habe ich mich intensiv mit einer Weiterbildung bzw. Bewerbungen und Vorstellungsgesprächen befasst. Die Bilanz ist, dass wenn ich nach meinen Vorstellungen für die Kinder da sein will, nur wieder eine selbständige Tätigkeit in Frage kommt. Sie werden wohl immer älter, aber die Schule bestimmt dafür den Tagesablauf inkl. Wochenende. Wenn ich dann nicht flexibel arbeiten kann, dann bleibt unsere gemeinsame Familienzeit komplett auf der Strecke.
Lieben Gruss Janine
Rita Angelone
26. August 2020 at 13:09Liebe Janine, danke vielmals für deine Rückmeldung. Ich weiss genau, wie du das meinst bzw. wie es sich anfühlt. Und genau deshalb habe ich mich vor Jahren selbständig gemacht bzw. habe nun eine eigene Firma gegründet. Die Schule bestimmt den Tagesablauf, der Sport auch noch das Wochenende. Ich will für die Jungs nach meinen Vorstellungen (wie du auch sagst), möglichst präsent sein, auch wenn sie selbständig sind. Also kann ich nur um sie herum arbeiten… manchmal erst spätabends….
Ich wünsche dir und deiner Familie alles Gute und dass du eine Organisationsform findest, die für dich und die Familie gut sind! Herzlichst, Rita