Nach acht bis zehn Wochen Sommer auf den Alpen des Alpsteins ziehen die Bauern gegen Mitte September mit ihren gestärkten Tieren wieder zurück ins Tal, damit sie den Winter im Stall verbringen können. Die festliche Alpabfahrt findet in der Regel am Samstag vor dem Bettag statt – dann, wenn der traditionelle Bauernmarkt in Urnäsch ausgetragen wird. Letztes Wochenende haben wir diesen eindrücklichen jahrhundertealten Schweizer Brauch erstmals direkt vor Ort miterlebt!
Es ist zwar vom Wetter und von der Futtersituation auf der Alp abhängig, wann genau die Bauern ihre Tiere vom Sommer auf der Alp zurück ins Tal treiben, doch viele von ihnen versuchen, die Rückkehr ins Winterquartier auf das Datum hin zu planen, an welchem der Bauernmarkt im Dorf stattfindet. Mit der Alpabfahrt feiert an diesem Tag die ganze Gemeinde – und unterdessen auch zahlreiche Besucher aus Nah und Fern – den glücklichen Abschluss des Alpsommers und damit auch die unversehrte Rückkehr der Bauern und der Tiere. Auch wenn es sich bei den Festlichkeiten rund um die Alpabfahrt und den Bauernmarkt um einen uralten Brauch handelt, so ist er für die Bauern auch heute noch ein wichtiges Symbol für den hohen Stellenwert, den sie in ihrem Dorf und der ganzen Region geniessen.
Wenn der grosse Bauernmarkt um 9 Uhr beginnt, treffen auch bereits die ersten Bauern und ihre Tiere in Urnäsch ein, die frühmorgens aufgebrochen sind, um sich auf den langen Marsch talwärts zu begeben. Schon von weitem hört man sie kommen: Das Muhen der Kühe, die Klänge der Schellen und das Zauren – der traditionelle Naturjodel – der Bauern vermischen sich mit den Klängen der Streichmusik auf dem Dorfplatz. Die typischen Instrumente einer Urnäscher Streichmusik sind das Hackbrett, die Geige, das Akkordeon und der Kontrabass.
Sobald dann das Sentum – also der Tierzug – näher kommt, erkennt man immer deutlicher, dass die Bauern stets in einer ganz bestimmten Reihenfolge laufen: Zuvorderst gehen die Kleinsten, allen voran der Geissbub in der Sennentracht. Er führt die weissen, hornlosen Appenzeller Ziegen – oder wie sie die Einheimischen nennen: die „Gäässe“ – und den Geissbock an.
Hinter den Geissen gehen die „Gääsmeetli“, die ihre blaugestreifte Werktagstracht tragen und mit einem Tannzweig als Treibgerät auf die Geissen aufpassen.
Anschliessend folgt der Vorsenn in der prächtigen Volltracht – und das ist der augenfälligste Unterschied zu den Alpabfahrten, die wir aus dem Glarnerland kennen: Dort sind es die Kühe, die aufwändig geschmückt sind – hier die Bauern!
Die Festtracht besteht aus gelben Lederkniehosen, roter Tuchweste, einem mit Blumen und Bändern verzierten schwarzen Hut, beschlagenen Hosenträgern, weissen Kniesocken und Sennenschmuck. An der linken Schulter trägt der Vorsenn den reich geschnitzten Fahreimer, einen hölzernen Melkkübel, dessen Unterseite mit einem kleinen runden Gemälde, dem Bödeli, verziert ist. Ihm folgen drei schöne Schellenkühe. Sie sind die Leitkühe, welche die schweren Senntumsschellen an kunstvoll verzierten Riemen tragen und das Wichtigste an jeder Alpfahrt sind. Die Schellen erklingen in verschiedenen Tonhöhen und ergeben somit eine schöne Harmonie, zu welcher die Bauern besonders gut zauren können.
Anschliessend marschieren vier Sennen nebeneinander, wobei der „Geelhösler“ stets links geht. Dieser hat übrigens auch einen Fahreimer dabei.
Diese vier Bauern in der Tracht marschieren hinter den Schellkühen und vor dem Rest der Herde. Ihre wichtigste Aufgabe: das Singen und Zauren zu den drei Sentumsschellen!
Weiter hinten folgen ein Stier und ein Pferd, das einen Holzwagen zieht, auf dem sämtliche Gerätschaften Platz finden, die früher auf der Alp für die Käse- und Butterherstellung gebraucht wurden.
Den Abschluss des Sentum macht der Besitzer der Tierherde. Er läuft im braunen Gewand und an seiner Seite passt der „Bläss“ – der Appenzeller Sennenhund – auf, dass kein Tier vom Weg abkommt.
Anders als in anderen Regionen der Schweiz kennen die Urnäscher zwar den Brauch der traditionellen „Chästeilet“ nicht. Bei diesem Brauch teilen sich die Bauern den hergestellten Käse im Verhältnis zur Milchleistung der Kühe untereinander. Doch auch in Urnäsch spielt Käse, der aus der Alpenmilch hergestellt wurde, eine wichtige, wenn nicht sogar die Hauptrolle auf dem Bauernmarkt. An rund 50 Marktständen präsentieren die Bauern ihre einheimischen Spezialitäten – allen voran, feinste Milch-Delikatessen wie zum Beispiel der Urnäscher Käse!
Nebst den kulinarischen Köstlichkeiten findet man auf dem Bauernmarkt besonders schöne und teils seltene Handwerksprodukte. Im Appenzellerland sind nämlich noch Handwerker in Berufen tätig, die andernorts längst verschwunden sind, wie zum Beispiel Schindelmacher, Weissküfer, Handsticker oder Glocken- oder Sennensattler!
Auch für musikalische Unterhaltung ist auf dem Bauernmarkt gesorgt: Der Jodelgesang des Buebechörli geht unter die Haut und ist nicht nur schön anzuhören, sondern dank den hübsch gekleideten Buben auch eine Augenweide.
Und mit dem traditionellen Säulirennen ist auch für viel Spannung und noch mehr Spass gesorgt. Im Wettbüro kann man vor dem Rennen einen Tipp abgeben und das „eigene“ Säuli nachher vom Rennstreckenrand aus anfeuern!
Auch wir haben uns am Bauernmarkt umgesehen und mit Köstlichkeiten für den Znacht und für den Sonntagsbrunch eingedeckt:
Eine typische lokale Spezialität, die wir unbedingt kosten und mit nach Hause nehmen wollten, ist der Urnäscher Hornkuhkäse. Dieser wird aus Milch von behornten Appenzeller Kühen hergestellt. Im Appenzeller Hinterland haben nämlich noch alle Kühe Hörner. Der Hornkuhkäse wurde übrigens am World Championship Cheese Contest in Wisconsin USA zum Vizeweltmeister gekürt – und wir wissen jetzt, weshalb!
Als weiterer Höhepunkt des Brauchtumkalenders werden nach der fröhlich zelebrierten Alpabfahrt und dem Bauernmarkt an der bald stattfindenden Viehschau – wie wir sie übrigens auch vom Glarnerland her kennen – noch die schönsten und leistungsstärksten Kühe gekürt und prämiert.
Gerne würden wir erfahren, welche Kühe zu den Schönsten gewählt werden – und wer weiss – vielleicht erleben wir nächstes Jahr mit einem Besuch der Viehschau in Urnäsch auch noch diesen Teil der herbstlichen Bräuche. Bis es so weit ist, freuen wir uns schon einmal auf unsere eigene Albisrieder Viehschau, welche dieses Wochenende in unserem eigenen Quartier stattfinden wird!
Allen, welche die Schweiz von ihrer ganz urtümlichen und schon fast märchenhaften Seite kennenlernen und einen abwechslungsreichen Tag mit viel Geschichte, Tradition, Musik, Genuss und Spass erleben wollen, empfehlen wir einen Besuch einer Alpabfahrt, eines Bauernmarktes oder einer Viehschau – am besten grad mit der ganzen Familie! Nicht nur die Kinder, sondern auch wir Erwachsene können dabei einiges über das Schweizer Kulturgut erfahren, das wir noch nicht wussten. Vor allem wird einem bewusst, was die – zum Teil ganz jungen! – Schweizer Bauern leisten und wie gut und gesund ihre Produkte aus der Alpenmilch sind!
Kennt ihr die Tradition der Alpabfahrten und Bauernmärkte? Habt ihr mit euren Kindern auch schon eine Alpabfahrt gesehen oder einen Bauernmarkt besucht? Wo? Erzählt uns davon!
Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit Swissmilk entstanden – danke für die Unterstützung!
1 Kommentar
Nadja W.
27. September 2017 at 08:25Wir waren im Wallis schon mal an einem Alpabzug. Sehr schöne tradition! Nach Urnäsch möchte ich auch mal irgendwann 😉 Bauernmärkte mag ich sowieso da gibt es immer feines zu kaufen 🙂