Beim Trauern lässt man gerne die Vergangenheit Revue passieren. So habe ich in den letzten Tagen in meinen Kolumnen nach Erinnerungen an meinen Vater gesucht. Dabei bin ich auf einen Text gestossen, den ich vor sechs Jahren geschrieben und in welchem ich euch verraten habe, dass Schneekugeln für mich seit jeher der Inbegriff für meine kleine, heile Welt waren, in die nichts Böses eindringen durfte und in der die wichtigsten Protagonisten in meinem Leben vor Ungemach geschützt waren.
Ich habe euch auch erzählt, dass ich jede Nacht in Gedanken meine kleine Schneekugel hervor nahm, sie schützend und wärmend in meinen Händen hielt und betete, dass mir jedes einzelne Figürchen darin ewig lange erhalten bleiben solle. Immer enger beieinander standen meine Figürchen da und gaben sich gegenseitig Sicherheit und Wärme, denn: Befanden sich darin früher nur gerade meine Eltern und meine Schwester, so bot meine Schneekugel über die Zeit auch meinen Buben, dem Familienoberhaupt und dessen Familie sowie meinem Göttibuben mit seinen Eltern Unterschlupf.
Wie mein eigenes Herz passte sich die kleine Schneekugel stets magisch an und wurde nie zu klein, um all meinen Liebsten einen Platz zu bieten. Jede Nacht betrachtete ich sie entzückt und besorgt zugleich und schüttelte sie zum Abschluss meiner Gebete behutsam: Der Schnee, der über die Figürchen rieselte, vermittelte Geborgenheit und Sicherheit und so konnte ich jeweils beruhigter einschlafen.
Doch trotz allem Hegen und Pflegen hat meine Schneekugel, meine kleine, heile Welt einen Riss bekommen und zwischen meinen Figürchen klafft jetzt eine Lücke. Ich mag diese Schneekugel nun nicht mehr und ich habe sie gedanklich ganz weit weggelegt. Vielleicht nur für den Moment, vielleicht aber auch für immer.
immer mittwochs im Tagblatt der Stadt Zürich
Kennt ihr diese Art von Enttäuschung? Wie gewinnt man die Zuversicht zurück? Woher schöpft man wieder Hoffnung?
2 Kommentare
Ruth Obrist
7. Juni 2017 at 13:27«ich habe sie gedanklich ganz weit weggelegt. Vielleicht nur für den Moment, vielleicht aber auch für immer.» Nicht für immer!! Es gibt Risse, die heilen. Auch wenn der Tod unerbittlich ist.
Rita Angelone
7. Juni 2017 at 20:50Liebe Frau Obrist, ich hoffe ganz fest, dass ich meine Schneekugel irgendwann wieder in die Hand nehmen kann.