Familienleben Kolumne

50 Jahre nach der Schwarzenbach-Initiative – Ein Blick zurück in meine Kindheit

50 Jahre nach der Schwarzenbach-Initiative - Erinnerungen aus meiner Kindheit
Das sind wir

Erinnerungen werden wach

Vor 50 Jahren wollte die Schwarzenbach-Initiative die Zahl der Ausländer in der Schweiz reduzieren. Damals betrug der Ausländeranteil 17,2% – etwas mehr als die Hälfte waren Gastarbeiter aus Italien. Wie meine Eltern. Dieses Jubiläum geht nicht spurlos an mir vorbei. Die vielen Beiträge in den Medien versetzen mich zurück ins Jahr 1970 und reissen alte Wunden auf.

Abstimmung mit Langzeitfolgen

Ich war damals noch viel zu klein, um wirklich zu begreifen, worum es ging. Dennoch verstand ich intuitiv, dass sich an jenem Abstimmungssonntag in unserer Stube im Glarnerland etwas ganz Entscheidendes abspielte.

Der Abstimmungskampf verlief emotional und bediente sich – wie so oft – diffuser Ängste und haltloser Vorurteile: Die Ausländer – allen voran die „Tschinggen“ – störten und bedrohten die Einheimischen, weil sie Letzteren nicht nur die Jobs und die Wohnungen, sondern auch die Frauen strittig machen würden. Die Initiative versetzte die Gastarbeiter in Angst: Wäre sie angenommen worden, hätten rund 300‘000 Menschen ausgewiesen werden müssen.

An jenem entscheidenden Sonntag wurde Geschichte geschrieben: Mit 75% Stimmbeteiligung gingen so viele Menschen wie kaum je zuvor und danach zur Urne. 54 % stimmten am Ende zugunsten der Ausländer. Sie durften bleiben, das Trauma aber blieb und hinterliess Spuren. Viele Gastarbeiter bauten mit ihrem Ersparten so rasch wie möglich ein Haus in der Heimat. Als Plan B für den Fall, dass der Wind einmal kehren würde. Aus Angst haben auch meine Eltern ein Leben lang mit einem Fuss die Tür zurück nach Italien offen gehalten, was leider auch eine vollständige Integration erschwert, ja gar verunmöglicht hat. Schade für alle Seiten.

Heute beträgt der Ausländeranteil in der Schweiz 24,7%. Noch immer stammen die meisten Ausländer aus Italien.

Wer von euch hat diese Jahre der Angst und Ungewissheit für so viele Gastarbeiter auch erlebt? Welche Erinnerungen kommen bei euch auf?

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2 Kommentare

  • Tamara
    18. Juni 2020 at 09:54

    Für mich persönlich waren die italienischen Kollegen die coolsten; ich habe erst viel später gehört, was sie alles durchmachen mussten.

    Mein Schulkamerad Concetto und seine Familie waren wie Deine mitten drin, und letztes Jahr kam sein buch heraus, das er über seine persönliche Erfahrung geschrieben hat: «Cacciateli! Quando i migranti eravamo noi» – vor kurzem erschien auch die deutsche Version «jagt sie fort».

    Mehr über ihn hier https://thethreegerbers.blogspot.com/2020/04/a-z-2020-switzerland-xenophobic.html

  • Rita Angelone
    18. Juni 2020 at 10:22

    Liebe Tamara, vielen lieben Dank für deine Rückmeldung! Ja, viele Menschen haben nicht wirklich verstanden, was die Langzeitfolgen dieser Initiative waren. Ich habe Concettos Buch bereits auf italienisch bestellt. Sobald es in der deutschen Version vorliegt, bestelle ich auch das. Nochmals danke für deinen Beitrag, der mir sehr geholfen hat. Einige Menschen denken, dass diese Geschichten erfunden oder zumindest völlig übertrieben sind. Lieber Gruss, Rita

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