Familienleben Kolumne

Eine Glacélänge

Glace

Kinder brauchen lange, um ein realistisches Zeitempfinden zu entwickeln. Für sie kommen drei Minuten Zähneputzen einer Ewigkeit gleich, handkehrum können sie neunzig Minuten lang Film schauen und nachher finden, dies sei jetzt aber ein kurzer Streifen gewesen.

Auch für Eltern verändert sich das Zeitempfinden massiv. Nicht nur durchwachte Nächte, sondern auch auf der Chrabbeldecke verbrachte, nie enden wollende Tage mit Babies, die zu nichts mehr fähig sind, als auf dem Rücken zu liegen, kommen dem Gefühl von Unendlichkeit sehr nahe. Hingegen kommen einen die – objektiv betrachtet – überdurchschnittlich langen zwei Stunden Mittagsschlaf als die absolut kürzesten Stunden des ganzen Tages vor, während denen man zu nichts kommt, da sie kaum angebrochen – subjektiv empfunden – auch grad wieder um sind.

Wie unterschiedlich das Zeitempfinden aber wirklich ist, zeigt sich, wenn kindliche Vorstellungen auf elterliche prallen. Wie letztes Wochenende auf einem Ausflug.

Vom Laufen müde wollen die Buben eine „kurze“ Pause einlegen. Damit einverstanden schlage ich unklugerweise vor, uns diese mit einem Glacé zu versüssen. Und so erfahren das Familienoberhaupt und ich selbst als Nichtraucher, dass eine Glacélänge überhaupt nichts mit einer Zigarettenlänge zu tun hat. Denn während unser Glacé im Nu in ein schwarzes Loch gefallen und fast schon verdaut ist, schlecken die Buben seelenruhig am unbezwingbar scheinenden „Winnetou“. Sie arbeiten sich verhältnismässig rasch durch den Schoggi-Überzug, um dann beim pickelharten Aprikosensaft wortwörtlich mit der Zunge hängen zu bleiben, saugen sich im Schneckentempo weiter zum Ananasteil und schlürfen irgendwann endlich die letzten triefenden Resten der Himbeeren.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, die gar das Fortsetzen des Ausflugs in Frage gestellt hat, brechen wir endlich auf. Allerdings nicht ohne das Lamenti: „Schad, scho fertig. Das isch jetzt aber gschwind gange!“

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